Name

Reformierte Kirche, ehem. St. Martin

Adresse
Kirchgässli 1
3210 Kerzers
Geografische Hierarchie
Koordinaten (WGS 84)
AutorIn und Datum des Eintrags
Sarah Keller 2016; Uta Bergmann 2017
Informationen zum Gebäude / zur Institution

Gemäss der Legenden-Überlieferung soll Königin Bertha von Burgund die Kirche von Kerzers im Jahr 961 dem Priorat Payerne geschenkt haben. Die Pfarrei gehörte zum Dekanat Avenches im Bistum Lausanne. Das Dorf Kerzers kam dagegen früh unter die Herrschaft des damals savoyischen Murten. Es wurde im Laupen- und Burgunderkrieg durch Brand zerstört. Nach den Burgunderkriegen kam Kerzers zusammen mit Murten als gemeinsame Herrschaft an Freiburg und Bern. In Religions- und Kirchensachen unterstand es dabei Bern.
Der aufgehende Bau des heutigen Langhauses stammt aus dem 11.–12. Jahrhundert. Laut Visitationsbericht des Bischofs von Lausanne befand sich die Pfarrkirche St. Martin 1453 in schlechtem Zustand. Dies änderte sich unter der neuen Herrschaft. Beim Wiederaufbau der Pfarrkirche unter Beibehaltung des Mauerwerks nach der Brandschatzung durch die Truppen Karls des Kühnen 1476 stiftete Murten 1478 ein Fenster und Freiburg 1481 eine durch Urs Werder erstellte und über sechs Pfund teure Standesscheibe (Stadtarchiv Murten StR 1478/III; StAF SR 1481, s. Anderes 1963. S. 202, Nr. 55. 1488 folgte im Auftrag Freiburgs eine weitere Arbeit Werders nach Kerzers; ob sie für die Kirche, bestimmt war, wird jedoch nicht präzisiert. Anderes 1963. S. 203, Nr. 73). Beide sind nicht überliefert. Erhalten hat sich aber eine Berner Standesscheibe, die Hans Lehmann, aufgrund des Freiburger Rechnungseintrages, dem Berner Glasmaler Urs Werder zuschrieb, da sie gleichzeitig entstanden sein dürfte (Lehmann ASA 1912. S. 298, Abb. 5; Anderes 1963. S. 97–98, 172, Nr. 45, Abb. 58; Bergmann 2014. Abb. 124). Beim Neubau des Kirchenchores 1512–1513 stiftete Bern eine Doppelscheibe, die eine mit dem hl. Vinzenz, die andere mit dem Standeswappen (Bergmann 2014. Abb. 125 und 126). Es folgten 1515 zwei Bannerträgerscheiben der Städte Aarberg und Murten, die Lehmann stilistisch alle Hans Funk zuschrieb (vgl. FR_272), auf den nun auch die Quellen in Murten hinweisen (Die Fensterstiftung der Stadt Murten wird dem Glaser von Freiburg schon 1514 mit 13 Pfund 11 Batzen bezahlt. Stadtarchiv Murten StR 1514/II. 1516 erhielt Meister Hans der Glaser von Bern "vmb die pfenster, dz min herren haben denen von der kilchen geschenckt, umb allen sachen, schilt und schiben" 28 Pfund und 10 Batzen. Stadtarchiv Murten StR 1516/II, fol.5r. Erst 1520 zahlte die Stadt den Glaser zu Bern für "die wappen" in die Kirche von Kerzers aus. Stadtarchiv Murten StR 1520/I). Engelhard erwähnt sie 1840 als wertvoll und gut erhalten (Engelhart 1840. S. 90–91. Er vermerkte ferner eine Martini-Scheibe, die auch bei Lohner 1864. S. 498 erwähnt wird, 1877 aber nicht mehr aufgezeichnet wurde. Vgl. Mülinen 1893. S.300–301. Mülinen benutzte dabei die Aufzeichnungen seines Vaters vom Juni 1877). 1601 beriet man auf Anfrage des Schultheissen von Murten, ob die Berner oder Freiburger die «Verköstigung», d.h. den Kostenaufwand der Fenster in der Kirche zu tragen habe (RM 152, 1601, p. 410 [30.8.1601]: "Herr schuldtheis zu Murten. Die verköstigung der pfa[e]nstern in der kilchen zu Kertzers, welcher es betzalen söll, vnd deßhalb mitt dem hern von Graffenried geredt, wÿll er den zenden betzücht. Ist den hern von Bern in abscheidt geben, vnd dartzwüschen soll sich der amptsman erkhundigen"). Standesscheiben sind aus dieser Zeit nicht bekannt, doch stiftete 1605 der Murtner Schultheiss Daniel Gatschet eine Scheibe in das Gotteshaus (FR_273). 1633 arbeitete der Glaser Hans Gobet an den Fenstern der Kirche (vgl. Bergmann 2014. S. 424), und 1647 lieferte der Murtner Glaser Peter Mäder eine Scheibe nach Kerzers, wobei offen bleibt, ob sie für die Kirche bestimmt war (Stadtarchiv Murten StR 1647). Die mutmasslich gleichzeitig mit den Berner Scheiben von Hans Funk geschaffene Standesscheibe Freiburgs wurde 1622 durch Glaser Griset geflickt (StAF Murtenrechnung 1622/23) und spätestens 1722 durch eine neue Scheibe ersetzt (vgl. FR_274). In diesem Jahr stiftete auch der Schultheiss von Murten Anton von Graffenried (FR_275) eine Scheibe in die Kirche. Das obrigkeitliche Wappen Freiburgs wurde vom Glasmaler (Hans Peter) Bucher ausgeführt und mit 48 Pfund bezahlt (StAF SR 517, 1721/22, p.58). Es erhielt im Mai 1725 ein Schutzgitter (StAF SR 520, 1724/25, p.29), dennoch musste es schon 1760 durch den Glaser Tschan wieder repariert werden (StAF Murtenrechnung 1759/60, p.14. Bei dem Glaser handelt es sich offenbar um den in Murten als Hintersässen gemeldeten Benedikt Tschanen. Stadtarchiv Murten, Hintersässenlisten 1774, 1780 und 1789/90).
1884 wurden die Scheiben von Johann Rudolf Rahn als im Chor befindlich beschrieben (Rahn 1884. S.19), doch wurden sie schon im gleichen Jahr anlässlich einer Restaurierung ausgebaut. Die bernische Baudirektion liess daraufhin bei drei Stücken anstelle der Originale von Glasmaler Johann Heinrich Müller (1822–1903) angefertigte Kopien in die Kirche einsetzen. Der Kirchenrat forderte die Originale zurück, liess sich aber schliesslich zu einer Abtretung bewegen (Pfarrarchiv Kerzers, Kirchenratsprotokoll 18.8.1884; 23.4.1889; 25.11.1890; 26.4.1891; 22.7.1891; 18.10.1891; 19.12.1891; 11.3.1892; 18.4.1892; 10.5.1892). Bern hatte die zwei Berner und das Aarberger Fenster zunächst im Kunstmuseum, dann ab 1894 im Historischen Museum deponiert. Freiburg beschäftigte sich mit dem Fall 1898/99 (StAF DC Korrespondenz 30.9.1898. S.272–273 und 24.9.1899 Protokoll Staatsrat 28.9. und 24.12.1898; Aktenunterlagen 24.12.1898. Zur Abwicklung des Falles s. Schöpfer. Kdm FR V. 2000. S.387). Pausen und lavierte Zeichnungen im Nachlass Johann Heinrich Müllers belegen die Arbeiten des Restaurators im 19. Jahrhundert an den Scheiben (Bern, Historisches Museum. Als Depositum im Vitro- centre Romont: Inv.28512, E 8. Leider sind die Zeichnungen zur Bestimmung der ergänzten Teile nicht sehr aufschlussreich; Bergmann 2014. Abb. 272.1, 272.2).
1901/02 wurde das mittlere, ehemals kleinere und rechteckige Chorfenster vergrössert und mit einer Kreuzigung von Glasmaler Emil Gerster (1876–1937) in Basel geschmückt. Die Glasgemälde Gatschet und Graffenried kamen ins Pfarrhaus. Anlässlich dieser Umgestaltung wollte der Pfarrer im November die alten Scheiben verkaufen, um die neuen Glasgemälde zu finanzieren (Sie wurden dem Schweizerischen Nationalmuseum über einen Berner Antiquar angeboten. MAHF Briefverkehr 17. und 24.11.1902; Copies des lettres 1901/02, p. 359–361; StAF DIP 1185/II/E Briefverkehr 17.11.–25.11.1902). Der Staatsrat erlaubte ihm, die Berner Standesscheibe zu verkaufen, die restlichen Glasgemälde müssten aber in der Kirche verbleiben. Zu einem Verkauf kam es jedoch glücklicherweise nicht. 1920 wurden die alten Glasgemälde im Chor von Kirsch & Fleckner restauriert; die Berner Rundscheibe, die Scheiben Gatschet und Graffenried verblieben zunächst im Pfarrhaus (Kirchgemeindearchiv Kerzers, Rechnung von Kirsch & Fleckner 3.12.1920). Erst als 2010–2011 die Kirchenschiffenster neu mit Glasgemälden Peter Barths (*1960) zum Thema der Glückseligkeit ausgestattet wurden, baute man alle erhaltenen historischen Scheiben wieder in die Chorfenster ein.

Literatur

Engelhard, J. F. L (1840). Darstellung des Bezirks Murten. Bern. (Reprint Genf 1979).

Lohner, C. F. L. (1864). Die reformierten Kirchen und ihre Vorsteher im eidgenössischen Freistaate Bern, nebst den vormaligen Klöstern. Thun.

Rahn, J. R. (1884). Zur Statistik schweizerischer Kunstdenkmäler. V. Canton Freiburg. In: Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde 17, 1884, Heft 1. S.19–25.

Mülinen, E. F. von, fortgesetzt von W. F. von Mülinen. (1893). Das Seeland. (Beiträge zur Heimathkunde des Kantons Bern deutschen Theils, Sechstes Heft) Bern.

Lehmann, H. (1912–1916). Glasmalerei in Bern am Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts. In: Anzeiger für Schweizerische Altertumskunde NF 14, 1912. S. 287–309; NF 15, 1913. S. 45–52, 100–116, 205–226, 321–346; NF 16, 1914. S. 41–57, 124–150, 207–233, 304–324; NF 17, 1915. S. 4, 45–65, 136–159, 217–240, 305–329; NF 18, 1916. S. 54–74, 135–153, 225–243.

Anderes, B. (1963). Die spätgotische Glasmalerei in Freiburg i. Ü. Freiburg.

Schöpfer, H. (1992). Kerzers: Kirche und Pfarrhaus (Schweizerische Kunstführer), Bern.

Schöpfer, H. (2000). Die Kunstdenkmäler des Kantons Freiburg. Band V. Der Seebezirk II. (Die Kunstdenkmäler der Schweiz Bd. 95) Basel. S. 380–390.

Lauper, A., Biffiger, S. et Beytrison, I. (2012). Kerzers. In: Fribourg/Freiburg, Valais/Wallis. Guide artistique de la Suisse. Bern: Soc. d'histoire de l'art en Suisse, p. 328.

Bergmann, U. (2014). Die Freiburger Glasmalerei des 16. bis 18. Jahrhunderts. Bern: Peter Lang. Kat.-Nr. 272–275.

Staatsarchiv Freiburg (StAF): Seckelmeisterrechnungen (SR), Ratsmanuale (RM), Murtenrechnung, DC Korrespondenz, Protokolle des Staatsrats, DIP 1185/II/E

Staatsarchiv Bern (StABE): Deutschseckelmeisterrechnungen, Ratsmanuale (RM)

Stadtarchiv Murten: Stadtrechnungen (StR), Hintersässenlisten

Pfarrarchiv Kerzers: Rechnungen, Kirchenratsprotokolle

Museum für Kunst und Geschichte Freiburg (MAHF): Briefverkehr 1902, copies des lettres.