Forschung
Laut Inschrift stiftete der Landvogt von Interlaken Gerhard Rohr die Scheibe 1671 in ein damals unter seiner Leitung erneuertes "Haus". Weil die Kirche von Leissigen erst 1675 umgebaut wurde und damals einen in der Werkstatt Hans Jakob Güders geschaffenen Glasgemäldezyklus erhielt, wird mit diesem "Haus" jedoch kaum sie gemeint sein. Zudem sprechen weitere Punkte dafür, dass Rohrs Scheibe nicht nach Leissigen gestiftet wurde. Erstens passt sie von ihrem Format her weder zu den dortigen grösseren Venner-Scheiben noch den kleineren Gemeindescheiben. Zweitens existiert in der Sammlung Wyss des Bernischen Historischen Museums ein Güder zuzuweisender Riss für eine analog komponierte Scheibe des Seckelmeisters Johann Jakob Bucher, auf dessen Rückseite die Helmzier zur Scheibe Rohr in Leissigen festgehalten ist (BHM Bern, Inv. 20036.628; Hasler 1996/97, Bd. 2, Abb. 461.2). Diese 1671 zweifellos von Güder geschaffene Scheibe Buchers ist ebenfalls im Besitz des dortigen Museums (BHM Bern, Inv. 396; 34,9 x 24,4 cm). Die beiden in den Massen und in der Gestaltung übereinstimmenden Glasgemälde von Landvogt Rohr in Leissigen und von Seckelmeister Bucher in Bern werden demnach für den gleichen Ort bestimmt gewesen sein. Mit Leissigen lässt sich der betreffende Ort jedoch nicht gleichsetzen, umfasst doch der dortige Glasgemäldezyklus von 1675 auch die Wappenscheibe des damaligen Seckelmeisters Samuel Fischer. Die Glasgemälde Rohrs und Buchers müssen mit anderen Worten nicht für eine 1675, sondern bereits um 1671 erneuerte Kirche der Landvogtei Interlaken in Auftrag gegeben worden sein, und zwar vermutlich zusammen mit verschollenen Vennerscheiben und einer Berner Standesscheibe. Zu denken wäre beispielsweise an die 1670/71 erbaute Kirche von Ringgenberg, wohin damals Güder unter anderem Scheiben mit den Wappen von Landvogt Rohr und Seckelmeister Bucher zu liefern hatte. Weil die Kirche Ringgenberg zwei – allerdings nicht von Güder stammende – Scheiben mit diesen Wappen besitzt, muss letztlich aber offen bleiben, ob sie tatsächlich ihr ursprünglicher Standort war.
Wie bereits angedeutet, geben sich die Scheiben Rohrs in Leissigen und Buchers im Bernischen Historischen Museum sowie der zugehörige dortige Riss als Arbeiten Hans Jakob Güders zu erkennen. Stilistisch verwandte Vergleichsbeispiele bieten zum Beispiel die von ihm 1675 für die Kirche Leissigen und 1680 für diejenige von Nidau geschaffenen Glasgemälde.
Gerhard Rohr (1616–1688) stammte aus einer alten Gerberfamilie. Sein Vater David (1594–1630) und sein Grossvater Gerhard († 1636), Landvogt zu Erlach und Schenkenberg, waren beide in diesem Beruf tätig. Gerhard der Jüngere wurde Notar. Er amtete als Ohmgeltschreiber, als Gerichtsschreiber von Interlaken, als Landschreiber zu Gsteig und 1669–1675 als Landvogt zu Interlaken. Gerhard Rohr war zweimal verheiratet. Seiner Ehe mit Salome Marti entsprangen elf Kinder. Nach ihrem Tod ehelichte Gerhard die dreifache Witwe Anna Sinner (HBLS 5/1929, S. 684).
Wappenscheiben von Gerhard Rohr gibt aus dem Jahr 1671 in den Kirchen von Leissigen und Ringgenberg sowie aus dem Jahr 1673 in den Kirchen von Beatenberg und Gsteig.
Datierung
1671
StifterIn
Rohr, Gerhard (1616–1688), Landvogt Interlaken
Ursprünglicher Standort
Herstellungsort
Eigentümer*in
Seit 1984 Kirchgemeinde Leissigen (laut Gebrauchsleihevertrag mit dem Kanton Bern vom 25.1.1984).
Vorbesitzer*in