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FR_226: Standesscheibe Freiburg 1608
(FR_Freiburg_Burgergemeinde_FR_226)

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Titel

Standesscheibe Freiburg 1608

Art des Objekts
Künstler*in / Hersteller*in
Murer, Josias · signiert
Datierung
1608

Ikonografie

Beschreibung

Vor farblosem Grund flankieren zwei bewaffnete Männer über gelbem Fliesenboden das von Reichsschild und -krone überhöhte Freiburger Wappen. Der Schildhalter links hält das Banner, der rechte schultert die Muskete. Der Bannerträger steckt in einem stahlblauen Harnisch und ist mit Schweizerdolch, Schwert und Ehrenkette ausgestattet, der Musketier trägt Lederwams und Pluderhosen, das Patronenbandelier, die Pulverbüchse und in der Rechten die Gewehrgabel. Über dem eingezogenen roten Bogen, von dem eine Girlande mit Blütenbouquet herabhängt, ist das linke Oberbild vom Freiburger Banner mit dem Eckquartier der Kreuztragung verdeckt. Das rechte zeigt eine Szene aus der römischen Geschichte: Die Standhaftigkeit des Mucius Scaevola nach seinem Anschlag im feindlichen Lager. Am Fuss der Scheibe steht der Freiburger Schild vor der blauen Rollwerkkartusche mit der zweigeteilten Inschrift.

Iconclass Code
44A1 · Wappen (als Staatssymbol etc.)
44A311 · Standartenträger, Fahnenträger
45C16(RIFLE) · Schußwaffen: Gewehr
98B(SCAEVOLA, C.M.)61 · Gaius Mucius Scaevola vor Porsena: er streckt seine rechte Hand in die Flammen (der Leichnam des königlichen Sekretärs, der irrtümlich anstelle von Porsena getötet worden ist, kann zusätzlich dargestellt sein)
Iconclass Stichworte
Heraldik

Wappen Freiburg: Geteilt von Schwarz und Silber.
Reichswappen: In Gold ein schwarzer nimbierter und goldbewehrter Doppeladler.

Inschrift

Stifterinschrift: Die Statt – Frÿburg. / 16 – 08.

Signatur

IM (unten rechts im Fussboden)

Technik / Zustand

Erhaltungszustand und Restaurierungen

Erhaltung: Notbleie und zahlreiche Sprünge.

Technik

Farbloses Glas. Rotes Glas, z. T. mit Ausschliff hinten. Bemalung mit Schwarzlot und Silbergelb in verschiedenen Farbstufen, Eisenrot sowie blauen, violetten und grünen Schmelzfarben. Eine Brandmarke: F und eine Brandmarke: A.

Entstehungsgeschichte

Forschung

Der Freiburger Stand wählte im Oberbild kein geschichtliches Bild der Eidgenossen und kein alttestamentliches Thema, sondern das Bild des römischen Helden Mucius. Seine Geschichte ist u. a. durch den römischen Historiographen Titus Livius (59 v. –17 n. Chr) überliefert (Livius. Ab urbe condita II, 12; Valerius Maximus. Fata et dicta memorabilia III, 3; Plutarch, Vitae parallelae. Solon Poplicola 17,1). Als der etruskische König Porsenna die Stadt Rom belagerte, entschloss sich der Römer Gaius Mucius, den Feind zu töten. Er drang, als Etrusker verkleidet, in das feindliche Lager ein, wo er zwei prächtig gekleidete Männer in dem von Soldaten umringten Zelt vorfand. Statt des Königs tötete er mit seinem Dolch jedoch irrtümlich den königlichen Schreiber, der den Sold verteilte. Mucius wurde von Porsenna ergriffen. Der König drohte, ihn zu verbrennen, wenn er nicht die gegen ihn gerichteten Pläne verrate. Mucius weigerte sich und bewies seinen Mut damit, dass er ohne Schmerzensäusserung seine rechte Hand im Feuer eines Opferaltares verbrannte. Von dieser Tat entsetzt und beeindruckt, liess der König Mucius frei und bot den Römern, deren Entschlossenheit und Mut er erkannt hatte, Frieden an. Der Römer Mucius erhielt wegen des Verlustes seiner Rechten den Beinamen Scaevola (Linkshand) (Die gleiche Szene nach gleichem Vorbild findet sich auch auf einer sicher in Freiburg entstandenen Standesscheibe aus dem Jahr 1603 [Foto SLM 6441]. Ob diese jedoch eine spätere Ergänzung ist, kann hier nicht beurteilt werden, da das Original nicht untersucht werden konnte [Standort unbekannt]).
Die Scheibe gehört zu einer Standesscheibenserie, von denen inzwischen neun weitere bekannt sind: die Berner, Luzerner, Glarner, Basler, Urner, Schaffhauser (Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.1), Zürcher (Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.2) und Solothurner Scheiben (Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.3) befinden sich im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich (Schneider 1971. Bd. 2. S. 479–482. Die Urner Scheibe konnte 2008 erworben werden [Inv.-Nr. LM 109558]. Die Standesscheiben Solothurn, Schaffhausen und Zürich wurden 2011 im französischen Kunsthandel erworben [Inv. LM 116047–49]. Jean Emmanuel Prunier, Hotel des ventes de Louviers. Lot Nr. 187), die Schwyzer Scheibe in Schaffhauser Privatbesitz (Hasler 2010. S. 414–417, Kat.-Nr. 188. Foto SLM 24816). Mit Ausnahme der Basler und Schaffhauser Stiftung tragen alle Standesscheiben das Monogramm "IM" des Zürcher Glasmalers Josias Murer (1564–1630).
Zu diesem ursprünglich 13-teiligen Standesscheibenzyklus haben sich auch insgesamt neun Scheibenrisse erhalten, von denen sich jene der Standesscheiben Bern, Unterwalden und Glarus ebenfalls im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich befinden (Lehmann 1941. S. 162–163, Abb. 218. Inv. LM 25642, LM 25634 und LM 96205 [Foto SLM 28696 und 28697]. Format 43,80 x 34,40 cm). Die schottische Nationalgalerie in Edinburgh bewahrt den Riss der Standesscheibe Zug (Andrews 1991. S. 11, Abb. 45), das Museum of Fine Arts in Boston den Riss der Schaffhauser Standesscheibe (Raguin 1987. Nr. 7, Abb. 7 und Raguin/Zackin 2001. Bd. I. S. 266, DIA 47/fig. 1 [hier Felix Lindtmayer zugeschrieben]; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.4) und die Klassik Stiftung Weimar den des Standes Luzern (Inv.-Nr. K.K.140. Thöne 1975. S. 269, Kat.-Nr. 545). Die Standesscheibenrisse von Uri und Appenzell sind in Privatbesitz, derjenige von Zürich gelangte 2009 in New York zum Verkauf (Sotheby’s New York 2009. S. 44–45, Nr. 17; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.5). Von Bern, Glarus, Luzern, Schaffhausen, Uri und Zürich existieren somit sowohl der Riss als auch die danach ausgeführte Standesscheibe. Risse und Scheiben zeigen eine übereinstimmende Komposition – das einzelne Standeswappen mit zwei Schildwächtern und Heldendarstellungen aus der eidgenössischen, römischen oder alttestamentlichen Geschichte in den Oberbildern – und übereinstimmende Masse (Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.1–6. Von der Serie, die schon Rolf Hasler 2010 ausführlich in Abbildungen präsentierte, sind hier nur die Scheiben bildlich wiedergegeben, die seit seiner Arbeit neu entdeckt wurden und denen die Risse gegenübergestellt werden). Einzig die Glarner Scheibe weicht in der Gestaltung der Schildwächter etwas vom Riss ab.
Laut Elisabeth Landolt sollen die Risse, die Josias Murer 1608 für seine Scheiben benutzte, auf Zeichnungen seines Bruders Christoph Murer aus dem Jahr 1595 zurückgehen, die in der Folge von Josias "mehrfach kopiert" wurden. Sie präzisiert jedoch nicht, ob die erhaltenen, erwähnten Risse Christoph Murer zuzuschreiben sind oder spätere Kopien seines Bruders sind (Landolt in: Tobias Stimmer 1984. S. 406). Auch nach Vignau Wilberg gehen die Scheiben von Josias Murer auf Risse Christoph Murers zurück, die bereits Vorlagen für dessen Standesscheibenzyklus von 1605 waren (Vignau-Wilberg 1982. S. 51, Anm. 391; davon hat sich allein die Standesscheibe Luzern von 1605 erhalten: Auktion Helbing 1912. S. 12, Nr. 13. Vgl. Thöne 1975. Kat.-Nr. 545). Die Oberbildszene des Mucius Scaevola ist zudem sicher eine Vereinfachung und Verkleinerung eines Murer-Entwurfes, der die gleiche Szene im Mittelbild darstellte. Der möglicherweise aus der Hand Christoph Murers stammende Riss ist nur durch eine Kopie des Strassburger Glasmalers Lorenz Lingg (1582–nach 1639) von 1606 bekannt (Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Inv.-Nr. XI 1062. Mensger 2009. S. 128–129, Nr. 65; Mensger 2012. Bd. 1. S. 230, Kat.-Nr. 375; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 226.6).
Der 1608 von Josias Murer gemalte Standesscheibenzyklus wurde 1614 vom Schaffhauser Glasmaler Werner Kübler d. J. (1582–1621) in Form einer 12-teiligen Scheibenserie neu aufgelegt und signiert (Vormals Basler Privatbesitz; Stimmer 1984. S. 406. Die Freiburger Scheibe Foto SLM 16221). Aus diesem Jahr stammt auch eine zweite, nicht signierte Standesscheibenfolge, die auf dem Murer-Zyklus beruht. Noch die Müller-Werkstatt in Zug griff auf die Murer-Vorlage zurück, als sie 1622 die Standesscheiben im Rathaus Zug schuf (Nur die Luzerner und Schwyzer Standesscheibe erhalten; Bergmann 2004. S. 273–275, Nr. 83).
Die Frage nach dem Bestimmungsort der Standesscheiben von Josias Murer, zu der auch die vorliegende Scheibe gehört, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Die bewaffneten Schildhalter deuten darauf hin, dass die Folge für einen profanen Bau bestimmt war. In den eidgenössischen Abschieden (1606–1608) sind zur fraglichen Zeit mehrere Gesuche belegt: für das Gesellenhaus in Kloten, die Rathäuser in Baar, Altdorf und Zofingen, das Bogenschützenhaus in St. Gallen, das Schützenhaus in Menzingen, die Wirtshäuser in Kerns, Horgen und "zum Hecht" in Zug, die Privathäuser Ammann Wasers in Unterwalden, Kaspar Leus in Stans und das Schloss Mauensee des Luzerner Junkers Caspar Pfyffer. Den Seckelamtsrechnungen Freiburgs sind nur folgende Zahlungen zu entnehmen: 1607 für Fenster (und Wappen?) zum Schützenhaus St. Gallen (Gesuch bereits 1603(!), erneuert 1604 – Schaffhausen zahlte aber erst 1608), 1608 für Fenster und Wappen zum Rathaus Aarau und 1609 für Fenster und Wappen an Caspar Pfyffer (Vgl. Hasler 2010. S. 417).
Da die von den Zürchern getätigte Stiftung für Caspar Pfyffer ins Schloss Mauensee 1609 dem Glasmaler Christoph Murer bezahlt wurde, stellte Rolf Hasler zur Diskussion, dass sein Bruder Josias Murer 1608 die Scheiben nach den Vorlagen Christophs für Mauensee geschaffen haben könnte. Dies kann nun insofern bekräftigt werden als auch eine Stiftung Freiburgs dorthin tatsächlich aktenkundig ist.

Datierung
1608
Eingangsdatum
1982
Schenker*in / Verkäufer*in

Jean Dubas

Ursprünglicher Standort
Herstellungsort
Eigentümer*in

Freiburg, Burgergemeinde

Vorbesitzer*in

1926 dem Landesmuseum von Antiquar Bolleter offeriert. 1942 Sammlung Arnold Bloch, Gingins. 1979 an der Auktion Stuker Bern. 1982 von Jean Dubas erworben.

Bibliografie und Quellen

Literatur

Galerie Jürg Stuker Antiquitäten 180–189. (Auktionskatalog Jürg Stuker, Bern. 15. November–1. Dezember 1979) Bern 1979. S. 103, Nr. 1521.

Bergmann, Uta. Die Freiburger Glasmalerei des 16.–18. Jahrhunderts / Le vitrail fribourgeois du XVIe au XVIIIe siècle (Corpus vitrearum Schweiz, Reihe Neuzeit, Bd. 6 / époque moderne vol. 6). 2 Bde / vol. Bern et al. 2014. Bd. 2. Kat.-Nr. 226.

Vgl.

Katalog einer bedeutenden Kollection von alten Schweizer und Deutschen Glasgemälden. (Auktionskatalog Hugo Helbing, München. 21. November 1912) München 1912.

Lehmann, Hans. Die Geschichte der Luzerner Glasmalerei von den Anfängen bis zu Beginn des 18. Jahrhunderts. (Luzern. Geschichte und Kultur III, 5) Luzern o. J. [1941].

Schneider, Jenny. Glasgemälde. Katalog der Sammlung des Schweizerischen Landesmuseums Zürich. 2 Bde. Stäfa o. J. [1971]. Bd. II. S. 281–282, Nr. 479–482.

Thöne, Friedrich. Daniel Lindtmayer 1552–1606/07. Die Schaffhauser Künstlerfamilie Lindtmayer. (Oeuvrekatalog Schweizer Künstler 2) Zürich 1975. S. 269, Kat.-Nr. 545.

Vignau-Wilberg, Thea. Christoph Murer und die «XL. Emblemata Miscella Nova». Bern 1982. S. 51, Anm. 391.

Tobias Stimmer 1539–1584. Spätrenaissance am Oberrhein. (Ausstellungskatalog. Basel, Kunstmuseum 23.9.–9.12.1984) Basel 1984. S. 406.

Raguin, Virginia Chieffo. Northern Renaissance Stained Glass. Continuity and Transformations. (Ausstellungskatalog Iris and B. Gerald Cantor Art Gallery, Worcester, Massachusetts 2.2.–8.3.1987) Worcester 1987. Nr. 7, Abb. 7.

Andrews, Keith. Catalogue of German Drawings in the National Gallery of Scotland. Edinburgh 1991. S. 11, Abb. 45.

Raguin, Virginia Chieffo and Helen Jackson Zakin. With contribution from Elizabeth Carson Pastan. Stained Glass before 1700 in the collections of the Midwest States. (Corpus Vitrearum United States of America, part VIII) 2 Bde. London 2001.

Mensger, Ariane. Leuchtende Beispiele. Zeichnungen für Glasgemälde aus Renaissance und Manierismus. Ausstellungskatalog Staatliche Kunsthalle Karlsruhe 12.9.–15.11.2009. Karlsruhe 2009.

Sotheby’s New York. Catalogue Old Master Drawings. (Auction in New York Wednesday 28 January 2009) New York 2009.

Hasler, Rolf. Die Schaffhauser Glasmalerei des 16. bis 18. Jahrhunderts. (Corpus Vitrearum Schweiz. Reihe Neuzeit Bd. 5) Bern, Berlin, Brüssel, Frankfurt a. M., New York, Oxford, Wien 2010. S. 414–417, Kat.-Nr. 188.

Jean Emmanuel Prunier, Hotel des ventes de Louviers. 23 Janvier 2011.

Mensger, Ariane. Die Scheibenrisse der Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe. 2 Bde. Köln 2012.

Weiteres Bildmaterial

SNM Zürich 24817; Galerie Stuker (Stenz, Bern)

Bildinformationen

Name des Bildes
FR_Freiburg_Burgergemeinde_FR_226
Fotonachweise
© Vitrocentre Romont (Foto: Yves Eigenmann)
Aufnahmedatum
2013
Copyright
© Bourgeoisie de la Ville de Fribourg
Eigentümer*in

Freiburg, Burgergemeinde

Inventar

Referenznummer
FR_226
Autor*in und Datum des Eintrags
Uta Bergmann 2016