In den Jahren 1542 und 1543 erhielt das Rathaus von Stein am Rhein einen grossen Zyklus von Glasgemälden, zu dem auch die vorliegende Frauenfelder Stadtscheibe zu zählen ist. Paul Boesch zog zwar auch das Schützenhaus von Stein als Bestimmungsort in Betracht (Boesch, 1950, S. 158–168), nach den Quellen war das Rathaus aber das einzige Gebäude in Stein, das 1542/43 mit einem Wappenzyklus bedacht wurde (Hasler, 2010, S. 364). Laut Johann Martin Usteri befanden sich 1805 vier Stadtscheiben aus diesem Zyklus, nämlich jene von Frauenfeld, St. Gallen, Winterthur und Diessenhofen, in der Herrenstube von Stein (Usteri, 1805, L46). Diese wurden von dieser Zunft 1866 an Herrn Winz Büel, Gastwirt zum Raben in Stein am Rhein, verkauft. Von diesem gelangte die Frauenfelder Scheibe in die Sammlung Vincent in Konstanz (Rahn, 1890, Nr. 45) und bei deren Versteigerung 1891 für Fr. 2950 an die Bürgergemeinde Frauenfeld.
Die Frauenfelder Scheibe ist zusammen mit sieben Stadtscheiben des gleichen Formats zur zweiten Werkgruppe des Steiner Zyklus' zu zählen (vgl. Hasler, 2010, 364–266). Sie ist zwar kleinteiliger als die anderen Stadtscheiben komponiert, in der Figurengestaltung und in den Dekorationsformen (zierlicher Blattfries an der Architekturrahmung, Bodenfliesenmuster) steht es ihnen jedoch derart nahe, dass an der Herkunft aus einer gemeinsamen Werkstatt kaum zu zweifeln ist.
Zu den Stadtscheiben gehörte auch eine heute verschollene Stiftung der Stadt Diessenhofen, für welche belegt ist, dass sie von einem Schaffhauser Glasmaler geschaffen wurde (Hasler, 2010, S. 364; Boesch, 1950, S. 167). Als die Stadtscheiben für das Steiner Rathaus ausgeführt wurden, existierten in Schaffhausen nur die Glasmalerwerkstätten Hieronymus Langs und Felix Lindtmayers d. J. Wie Hasler aufzeigt, lässt sich deren Werk nicht mit den Steiner Glasmalereien vergleichen. Hingegen kommt der in Schaffhausen gebürtige Meister Thomas Schmid als Glasmaler der zweiten Werkgruppe in Frage (Hasler, 2010, S. 366). Schmid war zwischen 1529 und 1544 aus Schaffhausen verbannt und hielt sich zeitweise in Stein am Rhein und in Diessenhofen auf. Er war der Sohn eines Glasers und Glasmalers und bezeichnete sich als Glaser und Maler. Sein überkommenes Werk umfasst Wandmalereien, ein Tafelbild sowie sehr wahrscheinlich auch Scheibenrisse, ein Hinterglasgemälde und vielleicht ein Glasgemäldefragment (Hasler, 2010, S. 131–132; Ryser, 2006, S. 250; FR_303). Das signierte Tafelbild (Museum Allerheiligen, Schaffhausen, https://kdb.e-pics.ethz.ch/latelogin.jspx?recordsWithCatalogName=KdB:2639), das den Kindermord von Bethlehem zeigt, ist auffallend ähnlich wie die vorliegende Scheibe komponiert. Die ungewöhnliche Gliederung der seitlichen Pfeiler respektive Bogenstellungen in je drei Kompartimente, die erzählende Szenen präsentieren, entsprechen einander. Diese Übereinstimmung führte bereits Hans Rott (Rott, 1925/26, S. 210), Max Bendel (1947, S. 102), Albert Knoepfli (1950, S. 144, 182) und Reinhard Frauenfelder (1958, S. 199) dazu, die Frauenfelder Stadtscheibe Thomas Schmid zuzuschreiben. Rolf Hasler setzte hingegen ein Fragezeichen hinter die Zuschreibung, da die Schildwächter und die voluminösen Rahmengerüste der anderen Stadtscheiben des Steiner Zyklus' im Tafelbild keine Entsprechung finden (Hasler, 2010, S. 366). Wenn aber auch die ebenfalls signierten Wandmalereien Thomas Schmids im Festsaals des Klosters St. Georgen in Stein am Rhein (1515/16, unter Leitung von Christoph Bockstorffer) berücksichtigt werden, zeigt sich, dass dort ähnlich monumentale Figuren sowie auch entsprechende architektonische Rahmungen zur Darstellung kamen (vgl. etwa die Figur des Herkules; Scherer, 2013, Abb. 31). Besonderer Augenmerk ist auf die Szene der Gründung von Karthago im Festsaal zu legen (Scherer, 2013, Abb. 6): der dargestellte Bau eines Wehrturms entspricht recht genau dem Turmbau auf der vorliegenden Frauenfelder Stadtscheibe (vgl. auch Mittelalterliche Ausstellung, 1895, S. 9). Zusammenfassend lässt sich sagen, dass sowohl die Quellenlage (Schaffhauser Glasmaler) als auch stilistische Vergleiche für Thomas Schmid als deren Schöpfer sprechen.
Die Gründungssage von Frauenfeld hielt 1548 Johannes Stumpf in seiner Chronik fest (5. Buch, Kap. XXVII, S. 98; vgl. Leisi, S. 28–29). Demnach wollte sich eine Gräfin von Kyburg (oder von Winterthur) mit einem Ritter von Seen vermählen. Das war jedoch gegen den Willen ihrer Verwandten (“ire freund und erben nit für gut haben”). Deswegen gab die Gräfin Stadt und Burg Frauenfeld dem Abt von Reichenau, um dessen Unterstützung zu erhalten. Dieser gab ihr die Burg wieder als Lehen zurück. Die Frau nahm so den kyburgischen Löwen, also ihre Familie, an die Kette, wie dies im Frauenfelder Wappen dargestellt ist. Die älteste bildliche Darstellung der Legende erscheint auf vorliegender Scheibe. Sie ist ebenfalls auf der Stadtscheibe von 1553 aus Wellhausen (Historisches Museum Thurgau, TG_26) und auf derjenigen von 1567 aus Winterthur (Rathaus Frauenfeld, TG_76) abgebildet.
Im Historischen Museum in Frauenfeld existiert von dieser Scheibe ein Nachriss (Inv. Nr. T 26440, Blattgrösse: 51.5 x 42 cm), der laut Inschrift in der Zeit geschaffen wurde, als sich dieselbe in der Zunft zu Stein am Rhein (Herrenstube) befand, von wo sie 1866 entfernt wurde (s.o.). Das Oberbild ist nicht abgebildet.
Eine Kopie dieser Scheibe, angefertigt von Hans Drenckhahn 1919 in Thun, befindet sich im Rathaus zu Stein am Rhein (siehe Technik/Zustand).
Die Scheibe wird genannt in:
Usteri, 1805, L 46.
Rahn, 1869, S. 58, Anm. 1.
Pupikofer, 1871, S. 16–17.
Rahn u.a., 1883, S. 63, Nr. 114.
Katalog Wiener Weltausstellung, 1873.
Rahn, 1889, S. 281 (Carl von Egeri?).
Borel, 1889, S. 292f.
Vetter, 1890, S. 13.
Rahn, 1890, Nr. 45.
Büchi, 1890, S. 32.
Heberle, 1891, Nr. 40.
Rahn, 1892, S. 12.
Büchi, 1892, S. 5–7.
Mittelalterliche Ausstellung, 1895, S. 9.
Rahn, 1899, S. 31.
Geschichte Schaffhausen, 1901, S. 728–730.
Rott, 1926, S. 99 (Thomas Schmid).
Thieme-Becker, 1936, S. 167 (hier die Zuweisung an Schmid abgelehnt).
Bendel, 1947, S. 102 (Thomas Schmid).
Knoepfli, 1950, S. 144, 182, Abb. 127 (“vielleicht Thomas Schmid”).
Boesch, 1950, S. 158–168 (Heinrich Holzhalb).
Frauenfelder, 1958, S. 199 (Thomas Schmid?).
Naumann, 1966, S. 59, 61f., 69, 72–78, 88, 98, Taf. 6.
Rathaus Frauenfeld, 1983, S. 20f., 38, Farbabb. 19 (Felix Lindtmayer d. Ä.).
Früh/Ganz, 1987, Abb. S. 19.
Bürgergemeinde Frauenfeld, 1991, Abb. S. 11.
Früh, 2001, S. 56, Farbabb.
Hux, 2004, S. 10, Abb.
Hux, 2010, Abb. S. 11.
Hasler, 2010, S. 132, 364–366, Abb. 150.2. (Thomas Schmid?).
Hux/pallmann, 2015, S. 11, Abb.