Hans Locher (um 1500–1586, Frauenfeld), Sohn des thurgauischen Landschreibers Jakob, stammte aus Frauenfeld und war katholisch. Vor 1524 heiratete er Verena Engelhart, Tochter des Konrad, Zwölfers und Zunftmeisters zur Meisen von Zürich. Später ging er eine zweite Ehe mit einer Christina ein, deren Geschlechtsname nicht bekannt ist. Von 1532–1564 amtete Locher wie sein Vater als thurgauischer Landschreiber. 1535–1540 war er Oberkirchenpfleger, 1541 Vogt von Münsterlingen, 1534–1545 Spendmeister, 1550–1556 des Grossen Rats und schliesslich bis zu seinem Tod des Kleinen Rats. Er beteiligte sich an Stiftungen für die Klöster Tänikon und Kalchrain sowie für das Spital Frauenfeld. 1562 leitete Locher den Wiederaufbau von Kalchrain. Papst Pius VI. ernannte ihn 1569 zum Pfalzgrafen (Locher 1940, S. 101f; Boesch 1943, S. 22; Locher/Rickenmann 1944, S. 36f.; Historisches Lexikon der Schweiz, 8/2009, S. 11). Schon 1532 hatte Locher die Orte Luzern, Solothurn und Bern um ein Fenster in sein neues Haus an der mittleren Vordergasse in Frauenfeld (Eidgenössische Abschiede IV, 1b, S. 1425) ersucht.
Das Ehepaar verehrte die vorliegende Scheibe in den Kreuzgang von Tänikon. Eine weitere Scheibenstiftung machte es 1561. Diese befindet sich heute ebenfalls im Historischen Museum Thurgau (TG_277). Auch seine Tochter Anna schenkte mit ihrem Ehemann Kaspar Letter 1559 eine Scheibe in den Kreuzgang von Tänikon. Diese ist heute im Besitz des Schweizerischen Nationalmuseums in Zürich (Dep. 3411; 83. Jahresbericht SNM Zürich 1974, S. 76, Abb. 89).
Als Landschreiber hatte Hans Locher oft mit dem Kloster Tänikon zu tun. 1548, als das Kloster nach der Reformation neu besiedelt wurde, nahm Locher den Bürgschein der neuen Verwalterin Sophia vom Grüth entgegen. Ausserdem nahm er alljährlich mit dem Landvogt und dem Landweibel die Klosterrechnung ab und war 1555 Schreiber der 7 Orte im Rechtshandel mit den drei Städten Bern, Freiburg und Solothurn wegen der Klöster (Boesch, 1943, S. 23).
Der 1508 errichtete Kreuzgang des Zisterzienserinnenklosters von Tänikon mit seinen 22 Rundbogenfenster wurde in mehreren Etappen mit zahlreichen Glasgemälden ausgestattet. Eine erste Serie datiert in die Jahre 1558/1559. Die meisten dieser rund 20 Scheiben sind vom Zürcher Glasmaler Niklaus Bluntschli signiert. Eine einzelne Scheibe trägt das Monogramm Jos Murers.
Die zweite Serie stammt aus den Jahren 1563–1565 und umfasst mindestens 5 Scheiben. Eine davon trägt das Monogramm des Glasmalers Hans Füchslin. In den Jahren von 1585–1610 wurden weitere 11 Scheiben gestiftet. Nach 1610 gelangten weitere Glasgemälde nach Tänikon, die dort allerdings nicht mehr im Kreuzgang, sondern andernorts zur Aufstellung kamen (u.a. im Refektorium) (Rahn/Nater 1906, S. 17f., 426–439; Boesch, 1943).
Insgesamt 37 Scheiben aus dem Kreuzgang von Tänikon kaufte 1832 Johann Nikolaus Vincent aus Konstanz, in dessen Sammlung sie bis 1891 verblieben. In diesem Jahr verkauften Vincents Erben die Sammlung, und heute sind die noch auffindbaren Tänikoner Scheiben auf mehrere Institutionen verteilt (Schweizerisches Nationalmuseum, Historisches Museum Thurgau, Badisches Landesmuseum Karlsruhe, Musée Ariana Genf, Germanisches Nationalmuseum Nürnberg, Museum Heylshof Worms, Historisches Museum Luzern).
Paul Boesch datiert die Scheibe Locher-Engelhart aufgrund eines Vergleichs mit einer Scheibe von 1546 (Oswald Wirz und Margreth Engelhart, 1943 Privatbesitz) um 1550 (Boesch, 1943, 25, Abb. I, 2; so auch Lehmann 1941, S. 83f.). Es gibt jedoch keinen Grund, die Scheibe von den Tänikoner Zyklen von 1558/59 und 1564/65 zu trennen. Zwar bilden die meisten Scheiben Szenen der Passionsgeschichte ab, eine Scheibe der Stadt Zug (1558; Schweizerisches Nationalmuseum IN 67/14) und eine Nachstiftung des Eberhard von Bichelsee (1558; TG_28) aber zeigen wie die Scheibe Locher-Engelhart zwei Heilige. Für eine Datierung um 1560 sprechen auch die beiden mit Masken verzierten, von je einem Krieger umarmten Balustersäulen. Diese finden sich in derselben Gestaltung auf der Figurenscheibe Niklaus Gersters von 1570 in Zuger Privatbesitz ebenso wie auf der um 1560 entstandenen Bildscheibe des Appenzeller Ehepaares Paul Jakob und Katharina Gartenhauser im Louvre zu Paris (Bergmann 2004, S. 212f., Kat.-Nr. 33, Abb. 33.1). Nach Uta Bergmann geht dieses Motiv möglicherweise auf die Titelumrahmung der 1553/54 in Zürich erschienenen Bibelausgabe von Andreas Gessner und Rudolf Wyssenbach zurück (Bergmann 2004, Abb. 33.2).
Die Ansicht der Stadt Frauenfeld ist nach dem Holzschnitt in der 1548 erschienenen Stumpf-Chronik gemalt.
Die von Niklaus Bluntschli signierten Glasgemälde in Tänikon lassen sich mit der Scheibe Locher-Engelhart in stilistischer Hinsicht nicht vergleichen. Die einzige von Jos Murer signierte Scheibe, diejenige des Melchior Gallati von 1559 (SNM Dep. 3409; Schneider 1980, 268), hingegen, weist einige Parallelen auf. So lassen sich insbesondere die fein gemalten Zwickelbilder sowie die mit Köpfen verzierten Basen vergleichen. Die ebenfalls Murer zuzuweisenden Tänikoner Scheiben der Hochzeit von Kana (TG_30) und der Speisung der Fünftausend (SNM IN 67/15; Schneider, 1971, Bd. 1, Nr. 316) weisen ähnlich gestaltete Figuren und ebenso voluminös ausgeführte Säulen auf.
Diese stilistischen Parallelen sprechen dafür, dass auch die Scheibe Locher-Engelhart in Jos Murers Werkstatt entstand.
Die Scheibe wird genannt in:
Rahn, 1890, Nr. 81.
Heberle, 1891, Nr. 75.
Büchi, 1892, S. 5.
Rahn/Nater, 1906, S. 17f., 426–439, spez. S. 434f., Nr. 26.
Locher, 1940, S. 101f., Abb. S. 66.
Lehmann, 1941, S. 83f., Abb. 118 (Anton Schiterberg).
Boesch, 1943, S. 20–27, Taf. I.1.
Knoepfli, 1950, S. 390.
Zehnder, 1992, S. 25, 95–99.
Ducret et al., 1999, S. 212, Abb.
Früh, 2001, S. 77.
Brauchli, 2003, S. 149f., Abb. S. 151.
Bergmann, 2004, S. 213.
Hux, 2010a, S. 15f., Abb.
Hux, 2010b, Abb. S. 12.