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TG_105: Runde Bildscheibe Wolfgang Sebastian Tschudi mit Moses und Aaron sowie der Fusswaschung Christi
(TG_Bischofszell_Ortsmuseum_TG_105)

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Titel

Runde Bildscheibe Wolfgang Sebastian Tschudi mit Moses und Aaron sowie der Fusswaschung Christi

Art des Objekts
Künstler*in / Hersteller*in
Probstatt, Hans Heinrich · signiert (eine der 6 Scheiben)
Datierung
1660
Masse
22.7 cm im Licht

Ikonografie

Beschreibung

Das durch einen gegliederten Stab unterteilte Hauptbild zeigt in der linken Hälfte den Grundriss der Stiftshütte und daneben Moses, Aaron und seine Söhne, die ihre Hände in einem runden Becken waschen. Dahinter erscheinen vor einer See- und Berglandschaft der siebenarmige Leuchter und die Lade des Zeugnisses (Ex 40). Die Szene rechts zeigt einen Kirchenraum, worin Christus in Anwesenheit der Apostel die Füsse Petri wäscht (Jo 13), sowie in Analogie zum Grundriss der Stiftshütte ein ebensolcher in Form einer frühchristlichen Basilika. Die Darstellung umfasst ein grüner Lorbeerkranz, der oben von einer Schriftrolle mit der Bildlegende unterbrochen ist. Das untere Scheibendrittel füllt die Stifterinschrift mit dem zentral aufgesetzten Vollwappen Wolfgang Sebastian Tschudis.

Iconclass Code
12A4231 · Menora: goldener, siebenarmiger Kerzenhalter, der in der Stiftshütte aufbewahrt wird
12A424 · der Vorhof der Stiftshütte (jüdische Religion)
46A122(TSCHUDI) · Wappenschild, heraldisches Symbol (TSCHUDI)
71E1 · das Buch Exodus: die Geschichte von Moses und Aaron
71E1383 · die Errichtung der Stiftshütte und ihrer Ausstattung
72A · typologische Nebeneinander- und Gegenüberstellungen
73D231 · Christus wäscht die Füße des Petrus
Iconclass Stichworte
Heraldik

Wappen Tschudi, Wolfgang Sebastian: In Gold auf grünem Dreiberg eine ausgerissene grüne Tanne mit braunem Stamm und zehn roten Zapfen; Helm rechts: blau mit goldenen Spangen; Helmdecke: golden und schwarz; Helmzier: ein mit schwarzen Hahnenfedern und vier goldenen Lilien bestecktes Steinbockhorn (Wappen der Mutter?); Helm links: blau mit goldenen Spangen; Helmdecke: golden und rot; Helmzier: auf grünem Dreiberg die Tanne des Schildes mit (nur) neun roten Zapfen (Tschudi).

Inschrift

ADM. RDVS DN9 WOLFFGANGVS / SEBASTIANVS TSCHVDI. EX / GLARVS COL LEGIATAE EC= / CLESIAE STI: PELAGY EPIS / COPICELLAE CANONIC9 / ANNO 1.6.6.0
EXODI. XL // IOANNIS. XIII

Signatur

keine

Technik / Zustand

Erhaltungszustand und Restaurierungen

Zwei kleine neue Klarglasergänzungen am oberen Rand; Sprungbleie; die Verbleiung erneuert.

Technik

Farbloses Glas; Bemalung mit Schwarzlot, Silbergelb und Eisenrot sowie blauer und violetter Schmelzfarbe.

Entstehungsgeschichte

Forschung

Der aus Glarus stammende Wolfgang Sebastian Tschudi (1609–1682), der Sohn Adams, erhielt 1636 im Stift St. Pelagius die vollen Rechte und Pflichten eines Chorherren. 1644 ernannte man ihn zum ständigen Fischherrn und mehrmals diente er dem Stift als Weinherr, Holzherr, Bauwart und Schlüsselverwalter sowie als Vertreter auf Gesandtschaften (Boesch, 1947).
Seine vorliegende Rundscheibe gehört zu einem Zyklus von mindestens sechs Scheiben der Chorherren des St. Pelagistifts und der Stadt Bischofszell aus dem Jahr 1660. Auf die Stiftung der Stadt bezieht sich der Eintrag in den städtischen Altratsrechnungen vom 21. April 1660: “Herrn Hans Kaspar Büeler von Schwyz umb ein Fenster undt schilt ihn seinen Neuwen Bauw vorrhat undt zallt fl. 8.-.” (Bürgerarchiv Bischofszell, Boesch, 1947). Neben den fünf Scheibenstiftern Tschudi, Büeler, Pfyffer, Wech und Reiffel gehörten 1660 drei weitere Personen, nämlich Franziskus Brandenberg, Hans Peter zum Brunnen und Kaspar Gallati, zum Chorherrenstift (Boesch, 1947, Anm. 2). Dass der Zyklus einstmals ebenfalls Glasgemälde von ihnen enthielt, ist mehr als wahrscheinlich. Mit Franz Karl Büeler zählte zu den genannten Chorherren auch der Sohn des aus Schwyz gebürtigen, in der Quelle genannten Hans Kaspar Büeler, der mit Thabita Tanner von Tau und Bollenstein verheiratet war und 1660 als konstanzisch-bischöflicher Obervogt in Bischofszell amtete. In seinen Artikeln von 1947 und 1951a ging Boesch davon aus, dass der Zyklus für ein von Hans Kaspar Büeler damals in Schwyz neu errichtetes Wohnhaus bestimmt war. Weil Büeler bis zu seinem Tod im Jahr 1664 in Bischofszell lebte, ist Albert Knoepfli (1962, S. 326–328) aber beizupflichten, dass dieser den in der Rechnung genannten “neuen Bau” um 1660 in Bischofszell erstellte. Laut Knoepfli dürfte es sich dabei um das ehemalige Ottsche Fideikommiss am Hofplatz Nr. 26 handeln. Dieses Gebäude gelangte 1662 durch Kauf an den oben erwähnten Sohn des bischöflichen Obervogtes. Da aber die Scheiben von 1660 und nicht 1662 datieren, ist ein anderes Gebäude als ursprünglicher Bestimmungsort wahrscheinlicher. 1660 konnte die unter dem Einfluss der Chorherren des St. Pelagistifts stehende katholische Stadtschule eingerichtet werden. Sie zog damals in das 1636 vom Stift erworbene Haus an der Schattengasse 41 in Bischofszell ein (Knoepfli, 1962, S. 132). Da Hans Kaspar Büeler als konstanzisch-bischöflicher Obervogt in Bischofszell wohl als Bauherr der Schule fungierte, könnte diese sehr wohl als “seinen Neuwen Bauw” bezeichnet worden sein. Eine Schule als Bestimmungsort liefert auch eine Erklärung für das ungewöhnliche, theologisch komplexe Bildprogramm der sechs Scheiben (siehe unten).

Die sechs stilistisch einheitlichen Scheiben können aufgrund der auf der Stiftung von Franz Heinrich Ludwig Pfyffer vorhandenen Meistersignatur HHP dem Luzerner Glasmaler Hans Heinrich Probstatt zugewiesen werden. Der Besteller dieser Scheibe, Chorherr Pfyffer aus Luzern, war es wohl auch, der Probstatt in seiner Heimatstadt den entsprechenden Auftrag zuhielt. Dieser komponierte alle sechs Werke in analoger Weise, indem er im unteren Drittel jeweils das Wappen mit der Stifterinschrift und darüber die von einem Lorbeerkranz und einer Schriftrolle mit der Bildlegende umrahmte biblische Darstellung festhielt. Diese biblischen Darstellungen beruhen auf den zehn Kupferstichen, die Léonard Gaultier (1561–1641) für Guillaume de Requieus “Conférence des figures mystiques” [1602] schuf. Die Stiche zeigen Begebenheiten aus dem Alten und Neuen Testament, die einander gegenüber gestellt werden. De Requieus theologisches, antiprotestantisches Traktat diskutiert die aus der Gegenüberstellung entstehenden Bezüge (vgl. Engert, 2018, S. 157). Tamara Engert untersuchte jüngst die nach denselben Vorlagen zwischen 1612 und 1622 geschaffenen monumentalen Glasmalereien in der Kirche Saint-Etienne-du-Mont in Paris. Die Darstellung auf der vorliegenden Rundscheibe mit der Fusswaschung Christi entspricht bis ins Detail dem “tableau IX” aus der “Conférence”, nur wurde die Komposition von einem Hochformat in ein Querformat übertragen und der zentrale Stab als Gliederungselement eingefügt. Die Händewaschung von Moses, Aaron und seinen Söhnen (Ex 40) wird in Analogie zur Fusswaschung Christi gesetzt (Jo 13), die Stiftshütte in Bezug zur frühchristlichen Basilika (vgl. Engert, 2018, Abb. 216, S. 264).
Diese Vorlage dürfte dem Glasmaler Probstatt durch einen Angehörigen des Bischofszeller Chorherrenstiftes St. Pelagius, der de Requieus “Conférence” kannte, vermittelt worden sein.

Die betreffenden sechs Glasgemälde finden sich in zwei im Bernischen Historischen Museum erhaltenen alten Verzeichnissen erwähnt, die ihrem Schriftcharakter zufolge in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts (sicher nach 1803) von unbekannter Hand erstellt und von Paul Boesch 1951 publiziert wurden (Boesch, 1951a).

Die Scheibe wird genannt in:
Boesch, 1947, S. 50–59, Abb. 2.
Boesch, 1951, S. 53.
Boesch, 1951a, S. 236–238.
Knoepfli, 1962, S. 326–328, Abb. 280.
Ortsmuseum Bischofszell, 1971, S. 38 (ausgestellt im Raum XIII).
Knoepfli, 1975, S. 31.
Reinhart, 1999, S. 45.

Datierung
1660
Ursprünglicher Standort
Herstellungsort
Eigentümer*in

Historisches Museum Bischofszell

Vorbesitzer*in

Bis 1944 Antiquitätenhändler M.W. Jacobson, Paris · Nach 1944 Sammlung G. Wüthrich, London · 1948 Rückführung in die Schweiz (Ortsmuseum Bischofszell)

Inventarnummer
14110.2

Bibliografie und Quellen

Literatur

Boesch, P. (1947). Sechs Rundscheiben von Bischofszell von 1660. Thurgauische Beiträge zur Vaterländischen Geschichte, Bd. 83.

Boesch, P. (1951). Schweizerische Glasgemälde im Ausland. Privatsammlung von G. Wüthrich, London, II. Teil. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, 12.

Boesch, P. (1951a). Quellen zur Kultur- und Kunstgeschichte. Ein altes Verzeichnis von Glasgemälden. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte, Bd. 12.

Engert, T. (2018). Eucharistieverehrung, Konfessionalisierung, Katechese. Ikonographische, funktions- und medientheoretische Überlegungen am Beispiel der Charnier-Fenster von Saint-Etienne-du-Mont in Paris. Regensburg: Schnell und Steiner.

Knoepfli, A. (1962). Die Kunstdenkmäler des Kantons Thurgau, Bd. III: Der Bezirk Bischofszell. Die Kunstdenkmäler der Schweiz. Basel: Verlag Birkhäuser.

Knoepfli, A. (1975). Bischofszell. Schweizerische Kunstführer. Basel: Gesellschaft für Schweizerische Kunstgeschichte.

Das Ortsmuseum Bischofszell (1971). Wegleitung, verfasst vom Amt für thurgauische Kunstdenkmäler-Inventarisation und Denkmalpflege.

Reinhart, H. (Red.) (1999). Die Erweiterung des Museums Bischofszell. Mitteilungen aus dem Thurgauischen Museum, Heft 32.

Weiteres Bildmaterial

Schweizerisches Nationalmuseum Zürich, Foto 42409

Vorlage

Guillaume de Requieu, “Conférence des figures mystiques”, Paris [1602], Kupferstiche von Léonard Gaultier (1561–1641)

Bildinformationen

Name des Bildes
TG_Bischofszell_Ortsmuseum_TG_105
Fotonachweise
© Vitrocentre Romont
Aufnahmedatum
2018
Copyright
© Historisches Museum Bischofszell
Eigentümer*in

Historisches Museum Bischofszell

Inventar

Referenznummer
TG_105
Autor*in und Datum des Eintrags
Rolf Hasler 2020; Sarah Keller 2020