Forschung
Beim Guten Hirten handelt es sich um eine der wenigen Auftragsarbeiten eines Kleinunternehmers an Robert Schär, die heute noch erhalten und deren Standort bekannt ist.
Das Glasgemälde bestellte Albrecht Lüthi, Besitzer der gleichnamigen Metzgerei an der Oberdorfstrasse 36 in Steffisburg für den Eingangsbereich seines Geschäfts. Das Glasgemälde ist 1960 datiert, kaum lesbar zwischen der Signatur und dem Rahmen unten rechts. Wie genau das Glasgemälde ursprünglich eingebaut war, ist unbekannt.
Im Jahre 1965 erteilte die Gemeinde Steffisburg gemäss den Angaben vom Bauinspektorat Steffisburg (November 2021) Albrecht Lüthi die Bewilligung für den Einbau einer mehrteiligen und heute noch existierenden Schiebetüre aus Glas – einer damals relativ modernen Lösung eines Geschäftszugangs. Das Glasgemälde wurde in den feststehenden Bereich der Schiebetüre integriert.
Ein erhaltener Entwurf im Privatbesitz zeigt den Guten Hirten im Massstab 1:5. Der zweite, im Massstab 1:1 entstandene Entwurf kam im Jahr 2020 als Teil der Schenkung von Max Schär und Maria Katarina Chrysomali-Schär ans Vitromusée Romont.
Die Metzgerei Lüthi bestand insgesamt 161 Jahre und über fünf Generationen. 1982 war sie von Johann Lüthi, Albrechts Sohn, übernommen worden. Ende August 2017 gingen Annamaria und Johann Lüthi in Pension, ohne eine Nachfolge gefunden zu haben.
Seit Dezember 2020 wird das Lokal als Ausstellungsraum des Kunsthauses Steffisburg genutzt. Der Gute Hirte bietet einen adäquaten Rahmen für die kunstbezogenen Aktivitäten und wird aller Voraussicht nach Ende der Ausstellung wieder in die Türe integriert.
Interessanterweise greift Schär bei diesem für ein Geschäftshaus geschaffenen Glasgemälde auf eine Thematik und eine Ikonographie zurück, die üblicherweise im sakralen Bereich Verwendung findet. Der Gute Hirte gehört zu den zentralen Themen in der christlichen Kunst und geht auf ein Gleichnis im Johannes-Evangelium (ab Joh 10,1) zurück: Christus erzählt von Schafen, die vertrauensvoll dem Hirten folgen, weil sie seine Stimme kennen und dieser die Schafe beim Namen ruft; im Gegenzug gibt der Hirte sein Leben für seine Schafe. Der das Gleichnis erklärende Jesus präsentiert sich in diesem Sinnbild selbst als Hirte bzw. Retter, dem die Gläubigen wie Schafe folgen sollen.
Schär hat hier also mit dem Schäfer und dem Metzger zwei Berufsgruppen zusammen geführt, die für die Ernährung des Menschen sorgen. Es liegt auch auf der Hand, dass er die Tiere durch den Schäfer gut versorgt sieht.
Im Hof der Metzgerei, also direkt hinter dem Verkaufsladen, befand sich in den 1960er Jahren noch der Ort, an dem die Tiere tatsächlich geschlachtet wurden. Berücksichtigt man dies, so ziert Schär mit diesem stark symbolbeladenen Bild ausgerechnet die Eingangstüre einer Metzgerei und führt damit die rettungssuchenden Schafe bildlich zur Schlachtbank, was als Zeichen des Schalks und Humors von Künstler und Auftraggeber interpretiert werden kann.
Die Darstellung des Hirten entspricht durchaus der Gestalt, wie Schär Jesus mehrfach verbildlicht hat. Beispielsweise hat Schär für die Kirche in Lenk zehn kleine Szenen aus dem Leben Jesu geschaffen, die diesen mit praktisch identischen Gesichtszügen zeigen. Auch die Kreuzigungsszene und der Judaskuss in Oberbottigen zeigen einen solchen Jesus oder die Szene mit den beiden Emmausjüngern in Vinelz.
Datierung
1960
Eingangsdatum
28.5.2020
Schenker*in / Verkäufer*in
Max Schär und Maria Katarina Chrysomali-Schär
Verknüpfte Standorte
Herstellungsort
Eigentümer*in
Vorbesitzer*in
Max Schär und Maria Katarina Chrysomali-Schär
Inventarnummer
VMR 1669