Research
Ende des 19. Jahrhunderts befand sich die vorliegende Madonnenscheibe links neben der Scheibe mit der hl. Adelheid über der Solothurner Standesscheibe und dem hl. Martin im Fenster der nördlichen Schrägseite des Chors (Rahn 1883; Lehmann 1913). Dabei handelt es sich aber nicht um die ursprüngliche Anordnung.
Zu welcher Stiftung die Madonnenscheibe gehört, lässt sich nicht schlüssig beantworten. Da sie vormals neben der Adelheid-Scheibe der Abtei Selz platziert war und zwischen diesen beiden Scheiben enge stilistische Parallelen bestehen, zogen Hans Lehmann und Heinz Matile in Betracht, dass auch sie zur Stiftung von Selz gehört (Lehmann 1913 und Matile 1979, S. 428). In diesem Fall hätte diese Stiftung wohl vier Glasgemälde umfasst, wovon das eine die Wappenscheibe des Klosters gewesen sein müsste. Dass auch die Scheibe mit dem hl. Martin dazu gehörte (vgl. Lehmann 1913), ist hingegen unwahrscheinlich, da kein Bezug der Abtei Selz zu diesem Heiligen erkennbar ist. Wenn die Stiftung von Selz tatsächlich vier Glasgemälde umfasst haben sollte, dann wären mit anderen Worten davon sicherlich zwei verschollen.
Die Madonnenscheibe weist stilistische Parallelen zu den Glasmalereien der Bubenberg-Stiftung im Berner Münster auf (Kurmann-Schwarz 1998, Abb. 252–259) und ist somit derselben Werkstatt wie diese zuzusprechen. Neben den stilistischen Ähnlichkeiten ist die zu dieser Zeit noch seltene Verwendung von Eisenrot auffallend. Da in der betreffenden Werkstatt mehrere Hände arbeiteten, die sich mit keinen Namen verbinden lassen, bezeichnet Brigitte Kurmann-Schwarz dieses Atelier als Bubenberg-Werkstatt (Kurmann-Schwarz 1998, S. 373–74, 401–414). Hans Lehmanns Zuschreibung der Madonnenscheibe an Hans Hänle, dem sich kein erhaltenes Glasgemälde zuweisen lässt, ist dagegen abzulehnen (vgl. Lehmann 1913).
Hans Christoph von Tavel weist zudem auf die stilistische Verwandtschaft hin, welche die Madonnenscheibe zur Kreuzigungsscheibe in Kirchberg und zu Zeichnungen Hans Baldung Griens besitzt. Er hebt dabei dessen Madonnenzeichnung von 1503 in Londoner Privatbesitz hervor (von Tavel 1978, Abb. 6; Kat. Manuel 1979, Nr. 267, Abb. 156). Von Tavel vermutet, dass entweder Vorlagen Baldungs über Niklaus Manuel nach Kirchberg gelangten oder aber Manuel selbst für dort unter dessen Einfluss Entwürfe herstellte (von Tavel 1978, S. 228). Niklaus Manuel lieferte also offenbar nicht nur für die mit seinem Monogramm versehenen Burgdorfer Scheiben in Kirchberg Vorlagen, sondern auch für andere dortige Scheiben, die alle von derselben Glasmalerwerkstatt geschaffen wurden. So lassen sich beispielsweise die kleinen musizierenden Bären am Säulenfuss der Adelheid-Scheibe auf seinem den Burgdorfer Scheiben nahestehenden Scheibenriss mit dem Wappen Manuel im Musée du Louvre in Paris nachweisen (Inv. 18.924; Kat. Manuel 1979, Nr. 140, Abb. 158). Auf der vorliegenden Madonnenscheibe sind an dieser Stelle Engel dargestellt. Während ein direkter Bezug der Kirchberger Scheiben zum Schaffen von Hans Baldung Grien unwahrscheinlich ist, legt die durch von Tavel dargelegte stilistische Verwandtschaft eine Rezeption von Baldungs Werk durch Manuel bereits in dieser Zeit nahe (vgl. Kat. Manuel 1979, S. 47f.).
Dating
um 1507
Period
1506 – 1508
Place of Manufacture
Owner
Kirchgemeinde Kirchberg.
Die Unterhaltspflicht der achtzehn 1898 im Chor befindlichen Glasgemälde damals vom Staat Bern zusammen mit dem Chor an die Kirchgemeinde abgetreten (nach dem am 1. April 1940 überarbeiteten Verzeichnis der Glasgemälde in den Kirchenchören des Kantons Bern, erstellt 1936 von B. von Rodt; Staatsarchiv Bern, Inv. BB 05.7.343).