Research
Hinsichtlich Datierung, Zuschreibung und Herkunft der Scheibe bestehen in der Literatur keine einheitlichen Ansichten. Laut Hans Lehmann soll sie sich 1913 in einer Kirche Murtens befunden haben, wo sie Bernhard Anderes jedoch nicht ausfindig machen konnte. Hermann Schöpfer ordnete die Berner wie die Freiburger Standesscheibe (FR_282) unter der Deutschen Kirche in Murten ein. In dieser befanden sich vormals Wappenscheiben Berns, Freiburgs und Murtens, der Familien von Diesbach und von Graffenried und anderer Stifter. 1798 wurden die Glasgemälde von den Franzosen mit Stangen durchstossen (Engelhard 1854, S. 83). Die erhaltenen Scheiben kommen jedoch aller Wahrscheinlichkeit nach aus dem Rathaus Murten, wo sie noch 1883 vom Museumskonservator Alfred Berthoud in sein Projekt einer Neugestaltung des Gemeinderatssaales einbezogen wurden (Rubli 1983. S. 45 mit Abb. des Projekts; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 282.1). Diese wurde jedoch nie realisiert; die Scheiben gelangten ins Museum Murten.
Die Schenkung der Berner Standesscheibe ist archivalisch nicht belegt und somit undatiert. Lehmann tendierte zu einer sehr frühen Datierung und schrieb sie dem Berner Glasmaler Peter Streiff (erwähnt 1497) zu, da man 1486 den Schultheissen von Murten dazu aufforderte, den Preis des Fensters für St. Katharina, die heutige reformierte französische Kirche, dem "Herrn Petern" auszurichten (Haller 1900. S. 115. Die ehemalige Katharinenkapelle wurde 1478–1479 als Ersatz für die 1476 abgerissene Armenspitalkapelle errichtet). Bei dem in den Akten erwähnten Herrn Peter handelt es sich jedoch um Pierre de Cerlier, den Inhaber der Katharinenkapelle, und nicht um einen Glasmaler (Schöpfer. Kdm FR V. 2000. S. 453, Anm. 154). Bernhard Anderes und Hermann Schöpfer, die die Herkunft aus der Murtner Kirche ableiteten, setzten das Glasgemälde um 1500 an und reihten es in die Nachfolge Urs Werders ein, während man im Museumsinventar die Datierung 1520 liest.
Fenster- und Wappenstiftungen ins Rathaus Murten sind in der fraglichen Zeit mehrfach belegt, allerdings keine von Bern. Nachdem Rudolf Räschi (tätig 1497–1537 in Freiburg) 1506 die Fenster repariert hatte (Stadtarchiv Murten StR 1506/I), zahlte ihm 1509 der Rat von Freiburg eine Wappenscheibe ins Murtner Rathaus (StAF SR 1509/II. Er erhielt dafür 28 Pfund, 18 Schilling und 11 Denar). Auch Murten stiftete in diesem Jahr ein Wappen der Stadt und eine Mauritius-Scheibe. Sie kosteten neun Pfund. Allein das Datum weist darauf hin, dass sie wohl ins Rathaus gehörten, denn 1509 wurden im Rathaus grössere Arbeiten unternommen (Schöpfer. Kdm FR V. 2000. S. 99; Stadtarchiv Murten StR 1509/II). 1514 lieferte „Meister Hans der Glaser von Bern“, sicher Hans Funk, einen Eichenrahmen für das Rathaus (Stadtarchiv Murten StR 1514/I). Dem Rathaus-Wirt Nico Willoz schenkte die Stadt Murten ein Fenster, das dem „Glaser in Freiburg“ bezahlt wurde (Stadtarchiv Murten StR 1515/I). 1523 gab die Stadt Murten die stattliche Summe von 23 Pfund für Rathausfenster aus (Stadtarchiv Murten StR 1523/ III. Ein damaliger Tageslohn belief sich auf 3 bis 5 Schilling). Um 1565 waren zwei Berner Standesscheiben schadhaft und mussten nach Bern transportiert werden, um dort repariert werden zu können (Stadtarchiv Murten StR 1565. Der Glasmaler Mathis Walther erhielt für die Flickarbeit 15 Batzen). Dass es sich bei der einen um die vorliegende Scheibe handeln dürfte, darauf weist die alte Renovation des Wappenbären hin, die in diese Zeit angesetzt werden könnte.
Während im Aufbau jene Standesscheiben nachklingen, die Urs Werder oder Jörg Barcher zugeschrieben werden (vgl. Bergmann 2014. Bd. 1. Abb. 124, 141, 142), nur dass hier an Stelle des kauernden Löwen ein perspektivischer Fliesenboden gezeichnet ist, so weist die gesteigerte Natürlichkeit der Löwen schon auf den Glasmaler Hans Funk hin, den Meister der 1513 entstandenen Berner Standesscheibe in Kerzers. Ähnlich sind auch die Löwen der Freiburger Standesscheibe im Schweizerischen Nationalmuseum (Anderes 1963. S. 102. Vgl. dort auch Abb. 75; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. Kat.-Nr. 20.2). Stark verwandt ist ferner eine Ämterscheibe Berns, die aus dem Schützenhaus von Lenzburg ins dortige Rathaus gelangte (Hasler 2002. S. 177–178, Nr. 56; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 281.1) und zusammen mit den Ämterscheiben von Lauperswil BE und Aeschi BE (Anderes 1963. S. 125–127, Abb. 98; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 281.2; BE_372 und BE_36) sowie der Freiburger Ämterscheibe in der Kirche von Ursenbach BE (Anderes 1963. Abb. 96; BE_698) aus einer gleichen Glasmalerwerkstatt stammen dürfte. Sie alle haben auch das abschliessende Kettenband gemein. Aufgrund der dargestellten Ämterwappen sind die Berner Ämterscheiben nach 1514/15 zu datieren. Schon Bernhard Anderes schrieb die Glasgemälde von Lauperswil, Aeschi und Ursenbach der Werkstatt des Berner Glasmalers Jakob Meyer († Ende 1535) zu. Die These wurde von Heinz Matile wiederaufgenommen (Matile 1965/1966. S. 32, 37–39); wie Rolf Hasler bemerkte er allerdings, dass die Rundeln nicht die künstlerische Qualität der für Jakob Meyer gesicherten Scheiben in Jegenstorf (vgl. Bergmann 2014. Bd. 1. Abb. 41, 127) erreichen und daher wohl Werkstattarbeiten sein dürften.
Wenn auch bei der Zuschreibung an Jakob Meyer einige Fragen offen bleiben, so schliesst sich die Berner Standesscheibe in Murten stilistisch doch dieser Gruppe und besonders der Scheibe in Lenzburg an und ist damit in die Jahre 1510–1520 zu datieren.
Dating
Um 1510/20
Period
1500 – 1530
Date of Receipt
Unbekannt
Original Donor
Previous Location
Place of Manufacture
Owner
Inventory Number
H-IV-6