Für den von Berns Obrigkeit in den Kirchenneubeu gestifteten Scheibenzyklus wurde laut deren Seckelmeisterrechnungen vom Augustmonat 1671 der Berner Glasmaler Hans Jakob Güder mit über 73 Pfund entlohnt: "Dem Glaasmahler Güder, umb underschiedliche, meiner ghrn. und mhrn. der Venneren Ehren-Wappen in bemelte Kirchen Ringgenberg entrichtet 22 Kr. Ann pf. 73 lb 6 β 8 d." (J. Keller-Ris 1915). Den damaligen Gepflogenheiten gemäss muss der betreffende Zyklus sechs Glasgemälde umfasst haben, nämlich die Scheibe des Standes Bern ("meiner gnädig Herren Ehrenwappen") sowie diejenigen des Deutschseckelmeisters und der vier Venner (Thormann/von Mülinen 1896, S. 47f.). Von diesen existieren heute in der Kirche jedoch mit Bestimmtheit nur die zwei Glasgemälde der Venner Willading und von Graffenried, das heisst zwei weitere Vennerscheiben sind verschwunden und bei den Scheiben Berns und des Seckelmeisters Bucher steht nicht eindeutig fest, ob sie wirklich für Ringgenberg geschaffen wurden (s. u.). Wie aus den Amtsrechnungen Interlakens von 1673/74 hervorgeht, hatte Güder zudem auch für den Landvogt Rohr und für Hasle, Interlaken und Unterseen Wappenscheiben in die Kirche Ringgenberg anzufertigen (s. d.).
Die vorliegende Bernscheibe muss mit jener von 1670 identisch sein, die Franz Thormann und Wolfgang Friedrich von Mülinen 1896 in der Kirche sahen. Dass es sich bei ihr um diejenige handelt, für die Güder 1671 bezahlt wurde, ist jedoch nicht gesichert. Zum einen fällt auf, dass sie ebenso wie die Wappenscheibe von Seckelmeister Bucher grösser ist als die beiden Vennerscheiben. Zum anderen lässt sie sich vom Stil her kaum als Arbeit Güders ansprechen. Mit der wolkig aufgetragenen blauen Schmelzfarbe, den roten Marmorsäulen und den Figürchen in der Oberzone (Putten, Musikanten) besitzt sie zwar an Güder erinnernde Elemente. Für ihre beiden Hauptfiguren, den Löwen und Bären, findet sich in seinem Werk stilistisch jedoch nichts Vergleichbares. Diese beiden in der Art Hans Ulrich I. Fischs gestalteten Figuren weisen vielmehr auf dessen vermutlichen Schüler Matthias Zwirn (Hasler 1996/97, Bd. 1, Nr. 47, Abb. 47.3 und Bd. 2, Nr. 440). Ihm weist Uta Bergmann in ihrem Freiburger Katalog die Scheibe denn auch zu. Selbstverständlich wäre es an sich denkbar, dass Güder zwar der Auftrags- und Lohnempfänger war, wegen anderer Verpflichtungen sich jedoch nicht in der Lage sah, die ganze Scheibenfolge selbst herzustellen, und deshalb einen oder mehrere Berufskollegen zur Mitarbeit heranzog. Ausser der Scheibe Berns fänden so auch die gleichfalls nicht von Güder geschaffenen Glasgemälde des Seckelmeisters Hans Jakob Bucher und des Landvogts Gerhard Rohr eine Erklärung (und dazu ebenfalls die ungewöhnliche, im zitierten Seckelmeistereintrag festgehaltene Bemerkung, die an Güder bezahlten Wappen seien "unterschiedlich"). Diese Interpretation vermag allerdings insofern nicht zu überzeugen, als es aus dem Jahre 1671 drei Glasgemälde Güders mit den Wappen Berns, des Seckelmeisters Bucher und des Landvogts Rohr gibt, die in den Massen mit den beiden Vennerscheiben in Ringgenberg übereinstimmen. Die betreffende Berner Standesscheibe gelangte 1892 aus einer Basler Privatsammlung in den Besitz des Schweizerischen Nationalmuseums in Zürich (SNM Inv. IN 103/72; 34,4 x 24,1 cm) und sie soll laut Schneider "wahrscheinlich aus der Kirche von Ringgenberg" stammen (Schneider 1971, Bd. II, Nr. 647). Güders Bucher-Scheibe von 1671 befindet sich heute im Bernischen Historischen Museum (BHM Bern, Inv. 396; 35 x 24,5 cm). Vormals im Besitz Friedrich Bürkis in Bern, gelangte sie 1881 anlässlich der Versteigerung seiner Sammlung in Basel ans Bernische Historische Museum. Dort existiert in der Sammlung Wyss auch der Riss Güders dazu. Auf dessen Rückseite hielt Güder zusätzlich die Helmzier zu einer Wappenscheibe Rohr fest. Dabei handelt es sich um einen Teilentwurf zur Scheibe des Landvogtes Gerhard Rohr von 1671 in der Kirche Leissigen (Hasler 1996/97, Bd. 2, Nr. 461, Abb. 461.2). Diese Scheibe war jedoch bestimmt nicht für Leissigen bestimmt (die dortige Kirche erhielt erst 1675 unmittelbar nach ihrem Umbau einen Scheibenzyklus aus der Werkstatt Güders). Weil sie analog komponiert ist wie Buchers Glasgemälde im Bernischen Historischen Museum und weil Güder die Entwürfe dazu auf dem gleichen Blatt zeichnete, ist nicht zu bezweifeln, dass dieser die beiden Werke 1671 für den gleichen Ort anfertige. Vieles spricht dafür, dass es sich dabei um die Kirche von Ringgenberg handelte. Wenn Güder die beiden 1671 für Hans Jakob Bucher und Gerhard Rohr angefertigten Glasgemälde ebenso wie die aus dem gleichen Jahr stammende Bernscheibe im Schweizerischen Nationalmuseum tatsächlich für dort schuf, dann stellt sich zwangsläufig die Frage nach dem ursprünglichen Standort der heute in der Kirche Ringgenberg befindlichen Glasgemälde von Bern, Bucher und Rohr (weil Matthias Zwirn 1670 für eine von ihm im Auftrag Berns in die Kirche Hilterfingen gelieferte Scheibe entlohnt wurde, könnte seine heute in Ringgenberg vorhandene Berner Standesscheibe damals allenfalls nach Hilterfingen gestiftet worden sein; vgl. Franz Thormann/von Mülinen 1896, S. 66f.). Solange darauf ebenso wie auf die Frage, wann genau die drei betreffenden Werke nach Ringgenberg kamen, sich keine schlüssige Antwort geben lässt, bleibt die hier zur Diskussion gestellte Ringgenberger Provenienz der drei 1671 von Bern, Bucher und Rohr bei Güder in Auftrag gegebenen Wappenscheiben jedoch eine Hypothese.
Die Bernscheibe von 1670 sahen Franz Thormann und Wolfgang Friedrich von Mülinen 1896 im Südfenster der Chor-Ostwand.