Forschung
Laut Hans Lehmann (1912) handelt es sich bei den beiden in Glas gebrannten, vermutlich aus dem Wallis stammenden Figurenbildern um eine provinzielle Arbeit savoyischer Lokalkunst. Tatsächlich weisen diese Figurenbilder in stilistischer Hinsicht einen sehr eigentümlichen Charakter auf. Der eckige Faltenwurf mit den harten Schattierungen, der derbe Realismus in der Zeichnung der Gesichter mit den mandelförmigen Schlitzaugen, die wie erstarrt wirkenden Körper oder die Betonung des Linearen erinnern an die gleichzeitige Kunst des Einblattholzschnittes, der in volkstümlicher Weise v.a. religiöse Bildthemen in Form von Andachtsbildern verbreitete. Diesbezüglich schliesst sich die Glasmalerei an die Fenster der Schlosskapelle in Greyerz aus der Zeit um 1480 sowie die spätgotischen Glasgemälde in Vouvry (Kanton Wallis) an, welche, um 1488–1493 gestiftet, 1820 in den Neubau der Pfarrkirche St-Hippolyte übernommen wurden. Vergleichbar sind hier die herben Gesichter Christi, Mariens, der Heiligen Hippolytus und Mauritius und der Stifterfiguren sowie die harte Linienführung und starren Körperformen in beiden Werken (Bergmann 2005, S. 52–55).
Grandjean/Cassina schrieben 1991 die Glasmalereien von Vouvry dem Maler und Bildhauer Jean II. Bolaz zu, der damit auch als Glasmaler tätig gewesen wäre und auch als Meister des Glasgemäldes in Bern in Frage kommt. Die Maler- und Bildhauerfamilie Bolaz (Bola, Bollaz, Bala, Boular) hatte sich, von unbekannter Herkunft, um 1470 im waadtländischen Vevey niedergelassen und weitete ihre Aktivitäten bis ins Wallis und nach Romont aus. Das heute im Bernischen Historischen Museum aufbewahrte Glasgemälde weist den gleichen hölzernen Stil auf wie die Greyerzer Fenster und die Glasgemälde in Vouvry und muss wie letztere um 1490 entstanden sein. Vor allem in der Behandlung der Körper, der Gesichter, aber auch im Faltenwurf und im Rasenstück unter dem hl. Bischof drängt sich der Vergleich zu den sicher etwas älteren Kapellenfenstern in Greyerz auf.
Die stilistischen Quellen des Glasmalers liegen jedoch nicht in der Schweiz, sondern wohl im benachbarten Frankreich, wo dieser möglicherweise seine Lehr- oder Gesellenzeit verbrachte. Aus dem Rhonetal haben sich verwandte Glasmalereifragmente des letzten Drittels des 15. Jahrhunderts aus der Kirche St-Theudère in Saint-Chef erhalten (heute im Kirchenschatz der Kathedrale von Grenoble; vgl. CORPUS VITREARUM FRANCE 1986, S. 271–273, Abb. 240–241; Kurmann-Schwarz 1997, S. 160).
Anders als die Glasgemälde in Greyerz und Vouvry, die in savoyischer Manier in eine Rautenverglasung mit einem rahmenden farbigen Ornamentband und vor Brokatgrund gesetzt sind, befinden sich die Figuren im vorliegenden Fall ohne Hintergrund und Rahmung scherenschnittartig in Butzenscheiben eingelassen, die wahrscheinlich eine ehemalige ältere Rautenverglasung ersetzten.
Datierung
Um 1490
Zeitraum
1480 – 1500
Ursprünglicher Standort
Herstellungsort
Eigentümer*in
Seit 1896 Bernisches Historisches Museum
Vorbesitzer*in
Bis 1896 Genfer Privatsammlung (Sammlung Gindroz). – Bis 2016 Schloss Oberhofen (Besitz BHM Bern)
Inventarnummer
BHM 2487