Forschung
Die vorliegende Scheibe besitzt neben der künstlerischen auch eine besondere historische Bedeutung: Im Jahr 1512 wurde der damalige Schultheiss Peter Falck mit der Aufgabe betraut, beim Papst um die Erhebung der Pfarrkirche St. Nikolaus in ein dem Papst direkt unterstelltes Kollegiatsstift anzuhalten. Falck reiste nach Rom, wo er vom Kardinal Schiner in dieser Angelegenheit unterstützt wurde. Er erreichte sein Ziel. Mit der von Papst Julius II. erlassenen Bulle des Jahres 1512 wurde das Freiburger Kollegiatsstift eingerichtet; der erste Propst und die weiteren Würdenträger wurden jedoch erst 1515 vom Rat in ihr Amt eingesetzt (Zur Geschichte des Kollegiatsstiftes s. Brasey 1912; Dubois 1922; Strub. Kdm FR II. 1956. S. 6; Trésor/Kirchenschatz 1983. S. 21–22, 28; HS II, 2. 1977. S. 275–281; Chapitre Saint-Nicolas/Kapitel St. Nikolaus 2010). Möglicherweise stiftete das Kapitel die Scheibe in eine ihm inkorporierte Pfarrei und brachte auf diese Weise gleichsam ihr Besitzersiegel an (Anderes 1963. S. 144; Schmid 1948/49. S. 26). Hier käme zwar v. a. Autigny in Frage, dessen Kirchensatz 1517 dem Kollegiatsstift anvertraut wurde (Vevey 1948. S. 106; Anderes 1963. S. 144, Anm. 2. Es gehörte zu den vier durch die päpstliche Bulle von 1512 dem Stift inkorporierten Pfarreien, konnte aber erst 1517 durch das Kapitel in Besitz genommen werden, Vgl. Schmid 1948/49. S. 26; HS II, 2. 1977. S. 279, Anm. 12). Die Kapitelscheibe gehörte jedoch allem Anschein nach zu einer Serie von Stiftungen, wurden doch gleichzeitig mit ihr zwei Gegenstücke gleicher Provenienz und aus gleicher Künstlerhand angeboten, von denen eins inzwischen auch den Weg ins Freiburger Museum gefunden hat (vgl. FR_26), was eher auf einen Kapellen- oder Kirchenneubau als Stiftungsanlass hinweisen dürfte (Die Angabe bei Schafer 1970. S. 15, die Scheibe sei 1647 in die Kapelle St. Wolfgang gekommen, entstand aufgrund einer falsch verstandenen Quelle im Kapitelsmanuale von St. Nikolaus III, S. 159. Er bezweifelte daher auch, dass sie ein Werk Räschis sei).
Es handelt sich hier sicher um die früheste bekannte Darstellung des Kapitelwappens, das als Schildbild jenes Armreliquiar abbildet, das in eben diesen Jahren angefertigt worden sein muss. Am 14.10.1514 billigte nämlich der Rat die Anfertigung des Reliquiars, das mit dem Stifterwappen Jean de Furnos versehen ist und das den 1506 mit päpstlicher Hilfe im Kloster Hauterive beschafften Oberarmknochen des hl. Nikolaus aufnehmen sollte (Strub. Kdm FR II. 1956. S. 16–17, 132–133, Abb. 132; Trésor/Kirchenschatz 1983. S. 114). Eine zweite Kapitelscheibe des gleichen Jahres 1517 wird im Schweizerischen Nationalmuseum Zürich aufbewahrt (Inv.-Nr. LM 72195; Foto Nr. SLM 124113. Ankauf 1991. Siehe: JL 100, 1991. S. 53; Bergmann 2014. Bd. 2.Abb. 27.1). Sie weist eine ganz ähnliche Inschrift auf, besitzt aber eine andere Ikonographie, stellt sie doch die Heiligen Nikolaus und Mauritius in einer Landschaft und ohne Wappenschild dar.
Bernard de Vevey schrieb die vorliegende Kapitelscheibe noch dem Berner Glasmaler Lukas Schwarz zu, während Alfred A. Schmid die Zuschreibung an Schwarz mit einem Fragezeichen versah. Rolf Hasler stellte die Scheibe in die Nachfolge von Arbeiten Urs Grafs, aus dessen Umkreis sich in Bern ein Scheibenriss mit zwei schildhaltenden Engeln erhalten hat. Am überzeugendsten erscheint die These Bernhard Anderes’, die Scheibe sei in das Werk Rudolf Räschis einzureihen, der gleichzeitig auch den Scheibenzyklus für die Kapelle in St. Wolfgang realisierte. Räschis Arbeit bleibt im ganzen Gepräge ihrer Ornamentik und Figuren den gotischen Formen verpflichtet. Auch die Kapitelscheibe in Zürich schliesst sich im Figurentypus dem Werk des Glasmalers an. Die dort dargestellte Landschaft fand als modernes und wegweisendes Motiv ebenfalls in den Scheiben aus St. Wolfgang Eingang in das Œuvre Rudolf Räschis (vgl. FR_22).
Hasler, 2023 (BEZG), S. 46f, Nr. 21.
Datierung
1517
Eingangsdatum
1948
StifterIn
Schenker*in / Verkäufer*in
Kunsthandel Galerie Fischer, Luzern
Ursprünglicher Standort
Herstellungsort
Eigentümer*in
Gottfried Keller-Stiftung
Vorbesitzer*in
Die Scheibe befand sich im 19. Jahrhundert in der Sammlung Albert von Parpart auf Schloss Hünegg am Thunersee und wurde 1884 mit ihrem Gegenstück (Kat.-Nr. 26) in Köln (Heberle) versteigert. Aus einer Berliner Sammlung kam sie später in die Sammlung Widener nach Philadelphia und wurde 1948 in der Schweiz verkauft. Aus dem Handel erworben.
Inventarnummer
MAHF D 2006-529 (FGK 939)