Das Chorfenster von Oberkirch zählt zu den bedeutendsten mittelalterlichen Glasmalereien in der Schweiz. Sein guter Erhaltungszustand mit der nahezu vollständig originalen Verbleiung hat unter den noch vorhandenen mittelalterlichen Glasmalereien weltweit höchsten Seltenheitswert.
Das Fenster stammt aus der Erbauungszeit des Chores und entstand im 2. Viertel des 14. Jahrhunderts. Gemäss einiger Zeichnungen von Johann Jakob Röttinger (Staatsarchiv Zürich, Scheiwiller-Lorber, 2014, S. 65) könnten im 19. Jahrhundert noch Ornamentfelder weiterer gleichzeitiger Fenster vorhanden gewesen sein.
In der Komposition ist das Fenster dem sogenannten Eschenbachfenster (1304/05) im Langhaus der Klosterkirche von Kappel am Albis verwandt. Wie in Frauenfeld-Oberkirch ist dort in drei Lanzetten der von Maria und Johannes flankierte Gekreuzigte und darunter die Verkündigung dargestellt (Kurmann/Kurmann-Schwarz, 2010, S. 148–150). In stilistischer Hinsicht stehen dem Fenster in Frauenfeld aber Konstanzer Glasmalereien näher, so insbesondere das Klingenberg-Fenster aus dem Konstanzer Münster (heute im Münster von Freiburg i. Br.) und die Glasmalereien der Konstanzer Dominikanerkirche (heute in Schloss Heiligenberg). Der Figurenstil sowie ornamentale Details stimmen überein. So finden sich an den drei Orten etwa die mit Ranken überzogenen Hintergründe, die im ersten Drittel des 14. Jahrhunderts noch nicht allgemein verbreitet waren (Lehmann, 1906, S. 186; Wienecke, 1912, S. 56; Beer, 1965, 44–46; Kurmann-Schwarz, 2008, S. 132). Demnach entstand auch das Fenster für Oberkirch in einer Konstanzer Werkstatt. Die genannten Glasmalereien geben auch Anhaltspunkte für die Datierung des Chorfensters in Frauenfeld. Das Klingenberg-Fenster lässt sich aus historischen Gründen um 1318/20 datieren, dasjenige in Heiligenberg in zeitlicher Nähe dazu um 1320 (Becksmann, 1979, S. 101, 139; Geiges, 1931, S. 342). In der Komposition ist insbesondere der Vierpass mit dem Christuskopf des Klingenbergfensters mit demjenigen in Frauenfeld zu vergleichen (vgl. zu diesem Motiv Becksmann, 1979, S. 54, 111–112, Abb. 117–118).
Gestützt wird die Datierung im 2. Viertel des 14. Jahrhunderts sowie der Bezug des Frauenfelder Fensters zu Konstanz durch die Figur des Nikolaus von Frauenfeld. Wie Herta Wienecke vorschlug, handelt es sich bei den Glasmalereien in Frauenfeld-Oberkirch wohl um eine Stiftung desselben (Wienecke, 1912, S. 57). Nikolaus von Frauenfeld (vor 1288–1344) war der Sohn des Jakob, Stadtvogt von Frauenfeld und Hofmeister der habsburgischen Herzöge. 1301 war er Pfarrer in Kenzingen und bald darauf in Windisch (spätestens 1303). 1311 war er Chorherr am St. Petersstift in Embrach, vor 1322 Pfarrer in Pfyn, 1324 Propst in Embrach sowie 1325 Chorherr in Beromünster. Zwischen 1326 und 1330 war er Gesandter der habsburgischen Herzöge an der Kurie in Avignon. Spätestens 1312 wurde er Domherr in Konstanz und 1334 zum Bischof von Konstanz gewählt (Bihrer, 2005, 68–70, 241; Bischof, 1993, S. 302; Leisi, 1947, S. 5–6). 1326 stiftete Nikolaus zu seinem und seiner Eltern Gedächtnis einen Altar in die Marienkapelle in Frauenfeld und richtete dort eine Pfarrstelle ein (Wienecke, 1912, S. 57). Bis mindestens 1334 blieb er seiner Heimatstadt eng verbunden: nach seiner Wahl zum Bischof verbrachte er einige Zeit in Frauenfeld (Burkhardt, 1977, S. 46; Bihrer, 2005, S. 241). Einige Jahre nach der Schenkung des Altars hatte Nikolaus als Konstanzer Domherr oder als Bischof Frauenfeld mit der Stiftung der Glasmalereien in die Kirche St. Laurentius wohl erneut beschenkt.
Das Glasgemälde wird genannt in:
Rahn, 1876, S. 611f.
Büchi, 1890, S. 28.
Rahn/Durrer/Haffter, 1899, S. 154–158.
Rahn, 1901, S. 1–3.
Oidtmann, 1905, S. 212.
Lehmann, 1906, S. 32f., Taf. IV.
Wienecke, 1912, S. 57.
Geiges, 1931/33, S. 330–343.
Metzger/Vögeli, 1934, S. 145–179.
Kunstgewerbemuseum Zürich, 1945/46 , S. 26, Nr. 30, Abb. 3.
Leisi, 1947, S. 5–6.
Knoepfli, 1950, S. 81–91.
Wentzel, 1953, S. 169–170.
Beer, 1965, S. 41–48, Taf. 28a–38, Farbabb. 2.
Becksmann, 1967, S. 60.
Becksmann, 1979, S. 101, 139.
Stamm, 1984, S. 85–91.
Sauer, 1997, S. 104.
Scholz, 1998, S. 59.
Ducret et al., 1999, S. 210, Abb.
Hux, 2004, S. 101f., Abb. S. 100.
Bihrer, 2005, S. 444–445.
Kurmann-Schwarz, 2008, S. 132.
Kurmann-Schwarz, 2012, S. 343–354.
Scheiwiller-Lorber, 2014, S. 64f., 245.
Trümpler/Wolf, 2014.
2. Viertel des 14. Jahrhunderts