Research
Die Hafenszene zeigt seitenverkehrt zu M. Küsells Graphik nach J. W. Baur von 1671 „Wie man die Seggie zu Neapolj zu tragen pflegt“ (Stich 33: 15 x 21,9 cm / 13,2 x 20,9 cm). Die hohe Geschwindigkeit der Beförderungsart wird durch die vornübergebeugten und wie im Wettrennen zügig, aber im Gleichschritt nebeneinander ausschreitenden vier Träger der beiden Sänften verdeutlicht, wobei sich einer der uniformierten Bediensteten zum verantwortlichen Begleiter umwendet, der sie offenbar zur Eile drängt.
Das unterschiedliche Höhenverhältnis der Glasplatte zum Kupferstich nutzt J. W. Baumgartner wiederum, um die Himmelsweite zu vergrössern. Deutlich konzentriert er die Aufmerksamkeit des Betrachters auf die in seinen Augen besonders interessanten Sänften, indem er wiederum den kläffend rennenden Hund weglässt, vor allem aber auch indem er auf die am Bildrand stehende Hauptfigur verzichtet, die in der graphischen Vorlage in geckenhafter Pose mit Blickkontakt den Betrachter ins Bild einführt. Auch hier findet sich die achsenschneidende Kompositionsart J. W. Baurs wieder, in welcher die bildparallele Bewegung in Kontrast gesetzt wird zum tiefliegenden zentralen Fluchtpunkt der Architekturen und der Landschaft. Auch in dieser Vedute dürfte das Anekdotische des bewegten Geschehens rechts den zeitgenössischen Betrachter sicher mehr fasziniert haben als die Palastkulisse und die im ruhigen Hafen anlegenden Schiffe.
J. W. Baur, der hier wiederum die Vorlage für Stecher und Hinterglasmaler liefert, müssen die Sänften im italienischen Stadtbild bereits während seines Aufenthaltes in Neapel 1633 wenn nicht exotisch, so doch bemerkenswert erschienen sein. Durch die schon in salomonischer Zeit und der Antike überlieferte Art des Transportes für Kultbilder und Würdenträger besass die Sänfte zwar Tradition, in den grossen Städten Italiens, Englands, Frankreichs, aber auch Deutschlands wird sie jedoch erst wieder um die Mitte des 17. Jahrhunderts beliebt, und zu Beginn des 18. Jahrhunderts häufen sich die Belege. Da dieses städtische Fortbewegungsmittel für Privilegierte ganz dem Lebensgefühl des Rokoko und dessen Kleider-Mode entsprach, erschien nur drei Jahre nach Entstehung des Hinterglasbildes J. W. Baumgartners bei Christoph Weigel in Nürnberg 1737 ein Kompendium über dieses Fortbewegungsmittel für Privilegierte: „Abhandlung der Porte-Chaises oder Trage-Sänfften durch Menschen oder Thiere, in allen Vier Theilen der Welt; nach der Critic, Mechanic, Historie, dem Recht, wie auch Cammer- und Policen-Wesen ausgeführet und erläutert mit Urkunden und Kupffern“ von Carl Christian Schramm. Man kann dabei das 1737 überlieferte Motto der Leipziger Sänftenträger „Wem unser Geld gefällt / den tragen wir fürs Geld“ unschwer auf die geschäftstüchtigen Neapolitaner übertragen, die wohl ebenso wie ihre nördlichen Berufskollegen zur Zeit J. W. Baumgartners Einheimische wie Fremde gerne mit überhöhten Preisen für ihren Trage-Lohn geneppt haben dürften, bis obrigkeitliche Regelungen versuchten, Einhalt zu gebieten. Dem Souvenir-Wert des Hinterglasbildes mit echter oder fiktiver Stadtkulisse tat ein solches Erlebnis an eine Reise sicher keinen Abbruch. (Jolidon 2012. S. 92/93)
Dating
Um 1734
Period
1725 – 1745
Date of Receipt
2000
Donor / Vendor
Place of Manufacture
Owner
Previous Owner
Inventory Number
RY 547