Research
Namentlich wird der Stifter der Scheibe nicht genannt. Lange galt die Scheibe daher als eine Nachstiftung des Grafen Jean II de Gruyère, der 1539 verstorben war und Träger des Annunziatenordens war (Vevey 1922/1923/II. S. 83). Nach dieser Hypothese wäre die Scheibe von seiner Witwe Catherine de Montheynard oder von seinen Kindern im Gedenken an den Verstorbenen bestellt worden. Wahrscheinlicher ist jedoch, dass der Stifter der vorliegenden Scheibe Michel, der letzte Graf von Greyerz und älteste Sohn Jean II, war. Er war im Jahr 1543 Regent wie auch die Inschrift besagt: "le comte de Gruyère 1543". Der Anhänger der Ordenskette bezieht sich einerseits auf seinen Namenspatron, anderseits aber und noch deutlicher auf die Tatsache, dass Michel als erster der Dynastie den Michaelsorden erhielt. Dass die Gliederkette dem Annunziatenorden angehört, wird auf einen Irrtum des Glasmalers zurückgehen, der sich wohl an einem Riss mit dieser Kette orientierte.
Der Orden des hl. Michael wurde vom französischen König Ludwig XI. 1469 zu Ehren des Landesheiligen gegründet und von Papst Paul II. bestätigt. Ursprünglich nur für 36 Ritter bestimmt, wurde er unter späteren Herrschern geradezu verschwenderisch verteilt, bis 1661 Ludwig XIV. eine Kommission bestellte, die den Orden restaurierte und die Zahl der Inhaber auf hundert Ritter und sechs Geistliche beschränkte. Mit der Revolution wurde der Orden in Frankreich aufgehoben (Ackermann 1855. S. 210–211).
Mit dem von Wildmännern gehaltenen Wappen und der Kette des Michaelsordens präsentiert sich auch das Siegel Michels de Gruyère. Der einzige Unterschied besteht in der Grafenkrone, die als Erhöhung des Wappens im Glasgemälde nicht dargestellt ist (Vevey 1922/1923/II. S. 23, Abb. 31). Nicht ganz geklärt ist, wann Michel zum Ordensritter ernannt wurde. Schon 1543 hatte Michel dem französischen König Truppen angeboten und sich damit finanzielle Hilfe erhofft. 1544 stand er Franz I. mit seinem Regiment in der Schlacht von Cerisola gegen Kaiser Karl V. zur Seite. Der König weigerte sich dann aber, ihm den Sold auszuzahlen. Sicher drückt sich mit der Darstellung des Ordensanhängers hier mindestens das Versprechen des Königs auf die erfolgte oder kommende Ehrauszeichnung des Grafen aus (Vevey 1922/1923/II datiert das Siegel ins Jahr 1543. Nach Hisely 1851–1857. S. 381 siegelte Michel erstmals am 2.1.1544 mit dem um die Ordenskette erweiterten Siegel. Dagegen engagierte er sich schon in einem Dokument vom 22.4.1542 „en bonne foy et par l’ordre de chevallerie“).
Michel hatte schon seine Jugend am Hofe des französischen Königs verbracht. Der letzte Graf, der die Herrschaft 1539 nach dem Tod des Vaters übernahm, kämpfte verzweifelt gegen grosse finanzielle Probleme, die ihm sein höfischer Lebensstil und seine übertriebenen Ambitionen eingebracht hatten und bei denen ihm auch die Mitgift seiner reichen Frau Madeleine de Miolans nicht mehr weiterhalf. Er machte grosse Anleihen und verpfändete seine Herrschaften. Er prägte eigene Münzen, deren Umlauf von Bern und Freiburg verboten wurde. Schliesslich beschäftigte er einen Alchimisten, um zu Reichtum zu gelangen. Als er seine Schulden nicht mehr zahlen konnte, verfügte die Tagsatzung 1554 seinen Bankrott. Der Graf, der auch keine Unterstützung vom französischen König und vom Kaiser erlangt hatte, floh nach Oron, später nach Burgund, während seine Grafschaft zwischen Bern und Freiburg aufgeteilt wurde. Michel nahm in Frankreich an den Religionskriegen teil und versuchte zeit seines Lebens die französischen und spanischen Könige Karl IX. und Philipp II. sowie den deutschen Kaiser Maximilian I. für seine Angelegenheiten zu interessieren und seine Grafschaft zurückzuerwerben. Er starb jedoch im Februar 1575, ohne diese Ziele erreicht zu haben.
Der ursprüngliche Stiftungsort der Scheibe ist nicht völlig gesichert. Noch vor 1882 kam sie aus dem Schloss Greyerz in den Besitz des Museums für Kunst und Geschichte Freiburg. Ob sie sich allerdings seit jeher in Greyerz befunden hatte, bleibt offen. Wie uns eine alte Stifterliste belegt, gehörte Michel de Gruyère auch zu jenen, die etwa zur fraglichen Zeit ein Fenster in das Rathaus von Romont schenkten (vgl. FR_304). Anhand dieses Dokumentes lassen sich noch weitere Wappenscheiben identifizieren, die alle dem Glasmaler zugeschrieben werden können, der auch die Scheibe Michels schuf (vgl. auch Bergmann 2014. Bd. 1. Abb. 55 und 136). Der ursprüngliche Bestimmungsort dieser letzteren Scheibe könnte daher tatsächlich das Rathaus Romont gewesen sein. Es ist aber wahrscheinlich, dass der Graf um 1543 mehrere Wappenscheiben an unterschiedliche Orte vergabte, jedoch alle bei ein und demselben Glasmaler bestellte.
Das vorliegende Glasgemälde Michels de Gruyère wird in der Fotothek des Schweizerischen Nationalmuseums Sebastian Techtermann zugeschrieben, von dessen Werk wir jedoch keine Kenntnis haben. Es muss mit einer Scheibe seines Schwagers Charles de Challant (FR_42) aus dem gleichen Stiftungszusammenhang stammen.
Die Löwendarstellungen und schwellenden Rankenformen der Scheibe Charles de Challants stehen in der stilistischen Tradition des Berner Glasmalers Hans Funk (Lehmann ASA 1915. Taf. XVI und XVII; vgl. FR_30, Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 30.1). Funk war indessen 1543 schon verstorben. Aber auch in der formalen Vereinfachung der Rahmenarchitekturen kommt eher ein Berner oder Freiburger Nachfolger Funks als Glasmaler der Greyerzer Scheiben in Frage. Diesen zeitlichen und stilistischen Voraussetzungen entspricht der in Zürich gebürtige Glasmaler Heinrich Ban (vgl. Bergmann 2014. S. 211–215), der mutmasslich in Bern bei Hans Funk tätig gewesen war und führender Stadtglasmaler in Freiburg wurde. Stilverwandt sind den Greyerzer Scheiben die Stadtscheibe von Payerne 1543 im dortigen Gerichtsgebäude (Salle de la Municipalité. Gemeindebesitz. Foto SLM 20724; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 42.1) sowie die Stiftung Jean d’Estavayers (Schweizerisches Nationalmuseum Inv.-Nr. LM 59501. JL 87 1978. S. 77, Abb. 86.; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 42.2) und Kaspar Känels (Auktion Fischer 1964. S. 25, Nr. 410, Taf. 6; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb. 41.2) im gleichen Jahr oder die Wappenscheibe Jakob Garmiswils 1542 im Bernischen Historischen Museum (Bis 1881 Sammlung Friedrich Bürki, Bern. Bern, BHM Inv.-Nr. 376; Bergmann 2014. Bd. 2. Abb 41.1; BE_1456). Sie alle stehen im architektonischen Aufbau und im Figurentypus, aber auch im Schriftcharakter mit den Scheiben in Greyerz in direktem Zusammenhang.
Dating
1543
Date of Receipt
Vor 1882
Original Donor
Gruyère, Michel de (vor 1539–1575)
Donor / Vendor
Previous Location
Place of Manufacture
Owner
Previous Owner
Aus dem Schloss Greyerz erworben. Heute wieder als Leihgabe dort ausgestellt.
Inventory Number
MAHF 3454